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Bilder von A.

Titel: Bilder von A.
Autoren: Carl Hanser Verlag
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»Nasi-Goreng« serviert wurde.
    Ab und zu schlug entweder mein Vater oder A. vor,laßt uns doch mal wieder einen »Nazi« verspeisen. In dem distinguierten Restaurant lachte und sprach A. so laut wie immer, und mein Vater sprach und lachte auch so laut wie immer, und ich tat es genauso und fühlte mich für ein, zwei kurze Stunden in ihrer Mitte, durch ihre Nähe und eine Art Komplizenschaft, die ich zwischen ihnen spürte, aufgehoben, ja, beschützt, auch wenn es mir im nachhinein wie eine Art Leibeigenschaft in Liebe vorkommt, in der sie mich festhielten und aus der sie mich nie freigaben. Mein Vater nicht und A. auch nicht, und ich liebte sie beide viel zu sehr, um mich aufzulehnen.
    Beide waren Marxisten, Sozialisten, Antifaschisten, Materialisten, Atheisten. Kritische Marxisten natürlich, keine dummen SED-Tölpel, sondern skeptisch und witzig. Aber Mitglied der Partei, der SED. Beide. Und Deutsche. A. sah aus wie ein Schwede und mein Vater wie ein Ägypter. Mein Vater legte großen Wert darauf, Deutscher zu sein. Aber kein Germane. Denn »wir sind schließlich mit den Römern hierhergekommen. Mit Caesar auf dem Weg nach Gallien und Britannien.« Das war seine Lieblingslegende. Allerdings mußte mein so deutscher, aber nicht germanischer Vater dann während des Krieges und der Nazizeit wieder den Römerweg nach Britannien aufnehmen und hat dort überlebt. Danach ist er zurückgekehrt. A.s deutscher Vater hat den Krieg an der russischen Front nicht überlebt und ist nicht zurückgekehrt. Das war das einzige, was ich von ihm wußte.
    Mit meinem Vater sprachen wir im Ganymed jedochimmer nur über die aktuelle Politik im allgemeinen und die DDR-Kulturpolitik im besonderen, erzählten uns die neuesten DDR-Witze, lachten laut und sprachen laut und tranken Unstrut-Wein, der in der DDR als etwas Besonderes galt und bei dem mein Vater trotzdem das Gesicht verzog – er hatte schon Besseres in seinem Leben getrunken, während A. einen Whisky vorgezogen hätte, den es sowieso nicht gab. Da mein Vater schon ein älterer Herr in einem gutsitzenden, maßgeschneiderten Anzug und oft gesehener Gast im Ganymed war und A. in dieser Gegend, unserem »Theater District«, natürlich als prominenter Regisseur erkannt wurde, wagte auch kein Ober- oder Unterkellner, uns wegen zu lauten Lachens und Redens rauszuwerfen.
    Und beide hatten diese strahlend blauen Augen. A. helle, preußischblau, und mein Vater tief dunkelblaue, indigo.
    Sie gaben eigentlich ein gutes Paar ab, fand ich, mein Vater und mein Geliebter. Die beiden Herren, denen ich leibeigen war.
    Sie sind jetzt beide tot.

 
    Als wir noch Kinder waren, haben wir uns trösten lassen und geglaubt, daß alles gut werden wird, gleich morgen oder spätestens nächste Woche. Dann wurden wir erwachsen und verstanden, daß wir keinen Trost finden werden, weder heute noch morgen, noch nächste Woche, in einer Welt, in der alle Krüge zerbrochen sind, die trotz Gerichten und Justiz, Schadenersatz und Wiedergutmachungszahlungen, Schmerzensgeldern und Bestrafungen ein Scherbenhaufen bleibt, in der jeder sein Malheur und seine Melancholie tragen und ertragen muß und in der auch noch, wie Kleist beklagt, die Sprache zu arm ist, die zerrissenen Bruchstücke der Seele zu malen . Und das war es, was wir, unsere kleine Kleist-Gemeinschaft, A. und ich, der Hauptdramaturg und noch ein Assistent – der aber nicht etwa ein junger Mann war, sondern mir einmal während einer Pause erzählte, was für ein Glück er gehabt habe, als Soldat während des Krieges nicht nach Rußland, sondern nach Dänemark abkommandiert worden zu sein –, mit unserem Kleist-Projekt zu zeigen suchten.
    Das große Unternehmen, das A. und ich während unserer Wanderung über die Karl-Marx-Allee entworfen hatten, wurde nun ausgetragen. Es sollte eine Mehrfachgeburt werden: A. inszenierte auf der großen Bühne des Berliner Theaters in parallelen Besetzungen Der Prinz von Homburg und Der zerbrochene Krug, was schon ungewöhnlich genug war, und dazu holten wir im Spiegelfoyer des Theaters zu einer weiteren Kleist-Inszenierung aus, einer Textmontage aus Schriften und Briefen Kleists und seiner Zeitgenossen unter dem Titel Dichter in Preußen , mit der wir nicht weniger als ein Bild der Kleist-Zeit und unserer eigenen Zeit malen wollten. Mit Dichter meinten wir uns selbst und mit Preußen die DDR, also den unerträglichen Widerspruch zwischen Poesie, Sehnsucht, Spontaneität und einer starren, sturen, beschränkenden und
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