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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben
Autoren: Julius Rodenberg
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haben, als die vernünftigen Männer, die sie sind, die Konkurrenz aufgegeben und sich zur Ruhe gesetzt. Das Wiener Café hat die Konditorei vollständig verdrängt; aber ich fürchte, mit ihr auch ein gut Stück alten Berliner Lebens.
    Zur Seite der Linden, wenn man durch eine der kleineren Nebenstraßen, Schadowstraße oder Neustädtische Kirchgasse geht, kommt man in eine Gegend, welche mehr noch als irgendeine ringsum die Spuren ihrer zweihundertjährigen Vergangenheit zeigt. Nicht auf den ersten Blick; denn glänzender, mehr von den Veränderungender jüngsten Zeit ergriffen und verschönert, stärker von den beständig zunehmenden Massen des Geschäfts- und Fremdenverkehrs durchflutet, ist wohl kein Straßengeviert gleichen Umfangs in ganz Berlin als dieses zwischen der Großen Friedrich- und der Neuen Wilhelmstraße, zwischen Linden und Spree. Hier, wenn irgendwo, hat man auf einem verhältnismäßig engen Raume zusammen alles das, was unsere Stadt in unglaublich kurzer Zeit so völlig umgestaltet, und nirgends bewunderungswürdiger als in eben diesem Revier, bis vor wenigen Jahren eines der stillsten von Berlin und, trotz der Nähe der Linden, wie weit ab von dem Treiben der Welt. Wer Ruhe suchte, konnte sie hier finden in diesen Straßen von kleinstädtischem Ansehen, wo die Kinder vor den Türen ihrer Eltern spielten und ihre fröhlichen Stimmen fast die einzigen waren, die man vernahm; in diesen einstöckigen Häusern, deren Bewohner ein Nachbargefühl miteinander verband; in dem schattigen Umkreise des Gotteshauses, der Kirche, von Dorothea, der guten Kurfürstin, A.D. 1678 gegründet und nach ihr die Dorotheenstädtische genannt, wie der ganze Stadtteil, die Dorotheenstadt, die nachmals, um die Kirche herum, entstand. Im Frieden der Kirche wuchs er langsam empor und dehnte sich allmählich aus, aber nicht weiter, als das Geläut ihrer Morgen- und Abendglocken klang, bis zum Ufer der Spree, deren Sand und Morast sich in Gärten verwandelten. Ein Geist der Beschaulichkeit und des Nachdenkens ruhte lang auf dieser Gegend, und die Musen liebten sie. Namen von unsterblichem Klange sind mit ihr verbunden. Mehr als ein jugendliches Gemüt erfüllte sich in ihr mit den ersten Eindrücken des Lebens, um es später, in den Tagen der Reife, künstlerisch nachzubilden; und manch ein Werk, welches der Wissenschaft zum Ruhm oder der Literatur zur Zierde gereicht, ließe sich wohl in seinen Anfängen zurückverfolgen biszu den bescheidenen Studentenwohnungen der Mittel- und Dorotheenstraße, wie sie vormals waren.
    Heute, wo hier am Stadtbahnhof der Friedrichstraße, dem turbulentesten und gedrängtesten unserer Stadt, dem eigentlichen Knotenpunkt ihres Bahnsystems, sich einige von den Monstrehotels nach amerikanischem Muster erheben, deren Fronten die Länge mehrerer Straßen beherrschen, hat dieser Charakter sich beträchtlich geändert; aber gänzlich verschwunden ist er darum nicht. Hunderte von Zügen sausen und rasseln im Laufe eines Tages von fünf zu fünf Minuten und oft in noch kürzeren Zwischenräumen über diesen Straßen hin und her, und in ihnen, von dieser ungeheueren Bewegung erfaßt und getrieben, rollen die Wagen und ziehen die Menschen wie Meeresfluten, welche scheinbar keinen Anfang und kein Ende haben. Aber mitten in dieser Rast- und Ruhelosigkeit hat sich doch noch hier und dort, in einem geschützten Eckchen, etwas erhalten, was die Züge der alten Zeit bewahrt; und diesen Dingen der Vergangenheit nachzugehen, in dem ungeheueren Strom und Strudel der vorwärts drängenden Zeit, die kein Erbarmen kennt und aller Pietät Hohn spricht, plötzlich dem Rest eines anderen Jahrhunderts zu begegnen und nun, im Alten noch befangen, ebenso plötzlich überrascht zu werden durch die Großartigkeit und Schönheit des Neuen, das eine dicht neben dem andern und alles im Zusammenhange das Bild einer Entwicklung, wie sie dem Auge sichtbar nicht leicht zum zweiten Male sich zeigt: das ist ein Reiz für mich, der immer wieder mit derselben Stärke wirkt und um so mehr hier, in der wohlbekannten Gegend. Immer noch, in der Mittelstraße unter den hohen Häusern mit reichverzierten Fassaden, Säulenaufgängen, marmornen Stufen und vergoldeten Balkonen, duckt sich solch ein anspruchsloses Wesen, das uns an die Zeit der Jugend erinnert, wo wirein Pianino nicht über die Treppe bringen konnten, sondern an Stricken durch das Fenster heraufwinden mußten. Immer noch, in der Dorotheenstraße zwischen den modernen
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