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Bezaubernde Spionin

Bezaubernde Spionin

Titel: Bezaubernde Spionin
Autoren: Jo MacDoherty
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    Heinrich VI., der Kind-König von England, hatte als eine Geste seines Wohlwollens und seines Vertrauens in den schottischen König eine seiner angeblich engsten Vertrauten an den schottischen Königshof entsandt. Vertrauen? Wohlwollen? Lächerlich! Rupert hegte nicht den geringsten Zweifel, wer hinter dieser »königlichen« Geste steckte: Richard von York, der Vetter des noch jugendlichen Königs. Was bedeutete, dass diese Lady … wie hieß sie noch? Richtig, Harrington, Lady Georgina Harrington, vor allem das Vertrauen Yorks besaß und damit der Kräfte am englischen Hof, die sich mit einem unabhängigen Schottland niemals abfinden konnten und wollten. Allen Berichten zufolge war sie ebenso gerissen wie charmant, und dazu wunderschön. Rupert stieß sich vom Fensterbrett ab. Wenn man die Eigenschaften dieser Engländerin ins Schottische übersetzte, bedeutete das sehr wahrscheinlich, dass sie sowohl eiskalt und skrupellos und obendrein vermutlich auch noch Yorks Geliebte war. Er konnte sich außerdem sehr gut vorstellen, dass sie sich mit Lord Peter Cunningham, dem »englischen Fuchs«, ausgezeichnet verstand. Was genau sie im Auftrag Yorks am schottischen Hof bewerkstelligen sollte, das entzog sich vorläufig Ruperts Kenntnis. Aber er würde in den nächsten Tagen gewiss genug Gelegenheit bekommen, das herauszufinden, denn heute sollte sie offiziell bei Hofe eingeführt werden.
    Ein Klopfen an der Tür seines Gemachs riss ihn aus seinen Gedanken. Noch bevor er etwas sagen konnte, wurde die Tür schwungvoll geöffnet, und er hörte schwere Schritte, als der Mann eintrat, ohne auf seine Aufforderung zu warten.
    Rupert lächelte trotz seiner düsteren Gedanken. Eine solche Unverfrorenheit besaß nur eine Person, aber seine Belustigung verschwand, als er daran dachte, dass dieser Mann nur dann so unhöflich war, wenn etwas wirklich Dringendes ihn dazu trieb. Und Dringlichkeit war in diesen schwierigen Zeiten zumeist gleichbedeutend mit Unannehmlichkeiten. Gelinde gesprochen.
    »Sir Archibald«, sagte Rupert, ohne sich umzudrehen. »Treibt Euch die Rastlosigkeit des Alters so früh zu mir? Oder sehnt Ihr Euch nach einem Gespräch unter Männern über die Vorzüge gewisser weiblicher Gesandter, hm?«
    »Pah!« Sir Archibald Grant, seines Zeichens Clanchief der Grants und seit der Inthronisierung Seiner Majestät James I. von Schottland Lordkanzler des Reiches, stieß ein verächtliches Schnauben aus, während er sich dem kleinen Tisch näherte, auf dem eine Karaffe mit Wasser und eine mit Wein stand. Ohne auf Ruperts Aufforderung zu warten, packte er die Weinkaraffe, goss sich eine großzügige Menge in einen Becher, nahm ihn und stürzte den Inhalt in drei großen Schlucken herunter. »Englische Hure wäre wohl die bessere Bezeichnung für diese sogenannte Lady!«, knurrte er, wischte sich den Bart ab und stellte den Becher wieder auf den Tisch zurück.
    »Bedient Euch«, meinte Sir Rupert und drehte sich zu dem älteren Mann herum.
    »Was?« Sir Archibald war ganz offensichtlich aufgebracht, denn auch wenn er ein polternder, bärbeißiger schottischer Haudegen war, besaß er gleichwohl geschliffene Manieren. Die er nur vergaß, wenn ihm etwas über die Leber gelaufen war. »Ach so, danke, aber ein Schluck auf nüchternem Magen reicht.« Er stellte den Becher achtlos wieder ab, ohne auch nur das kleinste Anzeichen zu geben, dass ihm Sir Ruperts ironische Aufforderung peinlich wäre. Ja, er schien sie gar nicht bemerkt zu haben. Stattdessen schüttelte er den Kopf, während seine mächtigen weißen Brauen sich drohend zusammenzogen. »Obwohl ich das natürlich niemals laut in der Gegenwart von irgendwelchen Höflingen äußern würde.«
    »Nein?« Sir Rupert konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ich glaube, Sir Archibald, dass Eure beeindruckende Fähigkeit, geistige Getränke in großen Mengen zu Euch nehmen zu können, ohne dass man es Euch anmerkt, bei Hofe allgemein bekannt ist. Allerdings«, fuhr er fort, als Sir Archibald ihn verständnislos ansah, »dachte ich, dass es sich vor allem auf unseren guten schottischen Whisky bezieht , nicht auf dieses edle Getränk, das Ihr einmal, wenn ich mich nicht irre, als Gesöff für Engländer und andere Weibsbilder bezeichnet habt, richtig?«
    Natürlich wusste Sir Rupert, dass Archibald von Grant mit seiner Bemerkung nicht auf seine Trinkgewohnheiten, sondern auf die wenig schmeichelhafte Beschreibung der englischen Gesandten angespielt
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