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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos
Autoren: Sabine Thiesler
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lächelte. »Haben Sie denn für heute Abend schon was geplant? Sonst schlage ich vor, ich laufe schnell los, kaufe was ein und koche uns eine Kleinigkeit. Was halten Sie davon?«
    Damit hatte Lilo nicht gerechnet. Später vielleicht. Wenn überhaupt. Aber nicht am ersten Abend des Einzugs.
    Aber natürlich, der junge Mann hatte nach dem Umzug Hunger, wollte essen und sie mit einbeziehen. Das war ja nicht zu glauben.
    »Nein, das kann ich nicht annehmen«, stotterte sie, und ihre blassen Wangen bekamen einen rosa Schimmer.
    »Das brauchen Sie auch nicht. Sie brauchen nur zu essen.«
    Er lief im Laufschritt los, zum kleinen Edeka-Markt an der Ecke.
    Eine halbe Stunde später deckte er den Tisch mit Nudelsalat, Fleischsalat und Krabbensalat, heißen Würstchen und knusprigem Baguette.
    Gerade als sie anfangen wollten zu essen, stand Lilo auf. »Moment!«, sagte sie. »Da hab ich ja noch was!«
    Sie verschwand in ihrem Schlafzimmer und kam eine Minute später mit einer Flasche Weißwein aus dem Jahr 1999 zurück.
    »Die ist noch aus Wilhelms Zeiten. Wilhelm war mein Mann. Er ist seit sechs Jahren tot. Wir sind nicht mehr dazu gekommen, sie zu trinken, und allein macht es keinen Spaß. Aber jetzt wäre der richtige Anlass!«
    Raffael nahm ihr die Flasche aus der Hand, öffnete sie und schenkte in zwei Weingläser ein, die ganz hinten im Schrank standen und schon ewig nicht mehr benutzt worden waren.
    »Cin Cin!« Er prostete ihr zu.
    Auch sie hob ihr Glas. »Auf dass Sie hier glücklich werden und wir uns vertragen!«
    »Ich hoffe es.«
    Er zündete sich eine Zigarette an, und Lilo hob zaghaft die Hand.
    »Entschuldigen Sie«, sagte sie vorsichtig, und es war ihr unangenehm, »aber wäre es möglich, dass Sie hier in der Küche nicht rauchen? Ich bekomme bei Rauch immer so schlecht Luft.«
    Raffael wirkte verärgert. »Und in meinem Zimmer?«
    »Nun, da kann ich nichts dagegen haben. Schließlich bezahlen Sie dafür. Nur nicht hier in der Küche, bitte, und nicht im Bad.«
    »Obwohl ich dafür ja auch bezahle.«
    »Ja, schon, aber …« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Es hatte alles so gut angefangen mit dem neuen Untermieter, jetzt wollte sie ihn nicht gleich wieder verlieren.
    »Schon gut!«, zischte Raffael. »Ist ja schon gut. Schon um die Ecke. Hab ich kapiert.«
    Er ging zur Spüle, ließ Wasser über die Zigarette laufen und warf sie in den Mülleimer.
    »Schon gut.« Er setzte sich wieder. Aber lächelte nicht.
    Lilo überlegte, wie sie es wiedergutmachen konnte.
    Sie schenkte Raffael immer wieder nach und holte wenig später noch eine zweite Flasche.
    Der Wein war bereits gekippt und schmeckte blechern, aber Raffael schien es nicht zu stören. Lilo trank insgesamt vielleicht ein Glas, den Rest der beiden Flaschen trank er.
    »Wieso haben Sie so wenig Gepäck?«, fragte sie irgendwann.
    Raffael hatte bereits Schwierigkeiten zu formulieren.
    »Es ist meine Philosophie«, meinte er. »Besitz belastet. Ich möchte frei sein.«
    »Das verstehe ich.«
    Lilo glaubte ihm und bewunderte ihn dafür. Ihr ganzes Leben lang hatte sie nach Besitz gestrebt, weil er ihr Sicherheit gab. Nur mit zwei Koffern wurde jeder Tag zu einer neuen Herausforderung, und das wäre ihr auf die Dauer zu anstrengend gewesen.
    Irgendwann stand Raffael auf. Er schwankte leicht.
    »Tschüss, Lilo«, lallte er, »vielen Dank für alles. Schlaf gut! Ich bin ja mal gespannt, was ich in deinem Monsterbett aus Großmutters Zeiten träume. Bis morgen!«
    Damit ging er und stützte sich beim Gehen an der Wand ab, bis er sein Zimmer erreichte.
    Ich glaube, er ist mir nicht mehr böse, denn am Schluss hat er mich sogar geduzt, dachte Lilo, aber er hat es bestimmt gar nicht gemerkt.
    Also bleiben wir einfach dabei.
    Und sie lächelte, während sie die Teller abspülte und die Reste wegräumte.
    Diese verfluchten Klamotten!
    Sein Blick fiel auf den eisernen Kanonenofen links neben Sofa und Erker.
    Der Ofen war im Gegensatz zu anderen Öfen, die eine gläserne Ofenklappe hatten, durch eine kunstvoll verzierte Eisentür verschlossen. Daher konnte man von außen weder das Feuer noch sonst irgendetwas sehen, was sich in dem Ofen verbarg. Es war jetzt Mitte Mai. Vor Oktober oder November wurde der Ofen bestimmt nicht benutzt, niemand hätte also eine Veranlassung, die Klappe zu öffnen.
    Darin wären die Sachen sicher. Jedenfalls für eine gewisse Zeit. Außerdem gab es die Möglichkeit, sie an einem kühlen Tag einfach zu verbrennen. Falls Lilo
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