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Bewegt Euch

Bewegt Euch

Titel: Bewegt Euch
Autoren: Hajo Schumacher
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Handball mir zumindest ein wenig dieser Selbstkontrolle vermittelt hat.
    Ob früher beim SC Münster 08 oder später in der zweiten Herrenmannschaft des Eimsbütteler Turnvereins zu Hamburg: Der Handball hat mir mehr geschenkt als jede Schulklasse, jedes Universitäts-Seminar. Der Handball hat mich erzogen und abgehärtet, meine Grenzen markiert und Möglichkeiten angedeutet. Ich weiß, dass Talent durch Willen nicht zu ersetzen ist, dass Fleiß und Disziplin den Humus bilden, auf dem Begabung erst blühen kann. Leider hatte ich von nichts genug. Aber immerhin jede Menge Freude. Wer je siegestrunken unter der Dusche gröhlte, wer je im schweigenden Kreis der geschlagenen Truppe in seine Bierflasche starrte, der weiß, wie mächtig der Gleichklang von Emotionen sein kann. Als wir schon in Berlin wohnten, bin ich gelegentlich mit dem Zug am Wochenende nach Hamburg gefahren, nur um bei der Mannschaft zu sein. Meine völlig ausgeleierten Bänder und Knöchel beendeten schließlich eine Lebensphase, der ich bis heute nachtrauere.

Der Triumph

    The answer is out there, Neo, and it’s looking for you, and it will find you if you want it to.
    Trinity in The Matrix
    Das Schicksal hatte mich zum Studium nach München verschlagen. Die Zeit des Jugend-Handballs war abgelaufen, die Truppe, die mir sieben Jahre Halt gegeben hatte, zerstreute sich. Als freier Mitarbeiter für Lokalsport hatte ich bei der Münsterschen Zeitung erste journalistische Erfahrungen gesammelt. Mein Glück, dass die großartige Süddeutsche Zeitung damals gerade ein Lokalsport-Ressort einrichtete. Meinen Mitstreitern auf der Journalistenschule war Sport zu piefig. Sie wollten was mit Wirtschaft machen, Politik, notfalls Kultur.
    Ich aber fuhr zum Faustballturnier, beobachtete das Sechstagerennen in der Olympiahalle und lernte einen dieser Irren kennen, wie sie wohl nur im Sportjournalismus zu finden sind. Ludger Schulze, einer der frechsten und klügsten Fußballkommentatoren jener Zeit, hatte sich auch in fortgeschrittenem Alter das Gemüt eines Halbstarken bewahrt. Er war weder willens noch in der Lage, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Innerhalb von Sekunden konnte er sich begeistern, schmollen, albern, zürnen. Er hätte in jedem Ressort bei jedem Blatt Karriere gemacht, aber er war durch und durch München und durch und durch Sport. Und er hatte Freude daran, Nachwuchs zu fördern.
    Mitte der Achtzigerjahre hatte Schulze die Tour de France für sich entdeckt. An der Seite des legendären Radsport-Journalisten Hartmut Scherzer, der Dutzenden von Rookies, später auch mir, die Feinheiten der Königsetappe nahegebracht hatte, war Schulze ein paar Tage mit dem Wanderzirkus durch Frankreich gezogen. Es war die Zeit von Laurent Fignon und Greg LeMond.
    Wer einmal bei der Tour war, kehrt verwandelt zurück. Das plötzliche Verlangen, einen Rennradsattel unter dem Hintern scheuern zu spüren, ist ebenso intensiv wie der Muskelkater, wenn es denn endlich so weit gewesen ist. Kaum zurück leistete sich Schulze ein feines rotes Dancelli-Rad. Ich hatte nicht mehr zu bieten als meine altersschwache Studentenmöhre von Peugeot, silbern, immerhin schon mit zwei Kettenblättern vorn, was zehn Gänge bedeutete.
    Ich war zwar nie länger Rennrad gefahren, verfügte aber über die richtigen Gene: Tandem-Weltmeister Dieter Giebken stammte aus Münster, so wie ich. Unsere ersten Ausfahrten reichten gerade bis zum Münchner Ortsschild kurz hinter Schwabing-Nord. Doch wir wurden kühner. »Der Hunderter« war unser großes Ziel, also 100 Kilometer am Stück, idealerweise »auf dem großen Blatt« mit »Kette rechts«, was nichts anderes bedeutete, als dass wir den schwersten Gang zu treten gedachten. Angeber-Sprech, wie ihn nur Anfänger schamlos vorzutragen wagen.
    Rennradfahren ist Mannschaftssport, wenn auch nach anderen Regeln als Fußball, Handball oder Eishockey. Im Radteam herrschen klarere Hierarchien. Bei den Profis hat der Wasserträger vorn im Wind zu buckeln, während der Chef sich für die schweren Passagen ausruht. Bei Hobbyfahrern geht es etwas sozialer zu. Jeder buckelt mal vorn. Die Anmut einer Rennradtruppe manifestiert sich im »belgischen Kreisel«, wenn die Fahrer sich wie Kettenglieder bewegen: Kaum ist einer vorn, lässt er sich auch schon nach links zurückfallen, um dort in einer parallelen Reihe ebenfalls Windschatten zu gewähren, bis auch schon der Nächste kommt. Am hinteren Ende wechselt der Fahrer die Spur nach rechts und rackert
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