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Bewegt Euch

Bewegt Euch

Titel: Bewegt Euch
Autoren: Hajo Schumacher
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und Dave Scott beim Ironwar 1989 sah oder Willi Wühlbeck über 800 Meter 1983, ob ich das Halbfinale Deutschland-Italien 2006 verfolgte, mich an Hingsen/Thompson in den 1980er-Jahren erinnere oder mir beim unglaublichen 10 000-Meter-Finish von Haile Gebrselassie gegen Paul Tergat bei Olympia 2000 die Tränen kamen – immer wieder ist da dieser Kick, dieses Einssein mit Athleten, die von ihren Leistungen her Lichtjahre von mir entfernt sind und die mich doch in einem unerhörten Maße motivieren. Es gibt ein wundersames Band, das den Hobbyradler mit den Helden der Tour de France verbindet. Wir Freizeitsportler sind Lookalikes, Doubles, Abziehbilder. Aber voller Begeisterung.
    Mit den Jahren hat sich die Motivation verändert. Dominierte früher der Sieg als Antrieb, so sind es heute eher die Momente des Selbermachens: Wenn der See-Kajak im Atlantik zwischen zwei Wellenbergen eingeschlossen ist und die Welt für eine Sekunde nur aus Wasser besteht. Wenn ich mit Hans, dem Kleinen, voller Glück in eine Stulle beiße, nachdem wir unseren ersten Dreitausender erklommen haben. Wenn ich mit meiner Frau ganz allein im Kanu sitze, die Paddel lautlos synchron das Wasser schneiden und wir still durch das Zwitschern, das vom Ufer kommt, hindurchgleiten. Wenn ich mit Karl, dem großen Sohn, scheinbar ruhig, aber innerlich hoch motiviert, die Bahnen im Schwimmbad ziehe und wir uns freundschaftlich-revanchistisch belauern, wann der andere endlich eine Schwäche zeigt. Einzigartige Augenblicke in unserer Familie hatten oft mit gemeinsamem Bewegen zu tun.
    Wie Essen und Schlafen gehört das Bewegen zu den Urbedürfnissen des Menschen, die er einfach zu bedienen hat. Bewegen, egal in welchem Tempo, auf welche Art, zu welchem Zweck, ist Therapie und Gottesdienst, Kraftquelle und Freudenspender. Das war mir zu Beginn meiner Handball-Karriere allerdings nicht gleich klar.
    Als ich am Mittwoch nach dem legendären Handball-Sonntag vor der Backsteinwand der Sporthalle stand, nagten schon wieder Zweifel. Was hatte der dicke Junge hier verloren? Knaben mit Sporttaschen gingen wortlos an mir vorbei. Ich trug einen Lederbeutel, den meine Mutter genäht hatte, aus Reststücken. Deckarm und Klühspies hatten sich so wunderbar in den Armen gelegen. Diese menschliche Wärme, die ich mir erhofft hatte, kam hier offenbar etwas kurz. So ist er halt, der Westfale.
    Zum Glück gab es Rolf Fiene, ein freundlicher Herr, früher mal Torwart und nun einer von Tausenden Helden des deutschen Alltags, die ihre Freizeit damit zubrachten, mehr oder weniger talentierten Kindern einen halbwegs sachgerechten Umgang mit einem Sportgerät beizubringen.
    Trainer Fiene war großartig. Er schien sich wirklich zu freuen, dass ich gekommen war. »Wir können hier jeden gebrauchen«, sagte er, was ich als Kompliment verstand. Ich hatte die schwarzen Turnschlappen dabei, die ich aber im Lederbeutel versteckt hielt. Stattdessen trainierte ich in einer Art Segelschuh, dessen Sohle leider für unfreiwillige Vollbremsungen sorgte. Im Fernsehen hatte ich gelernt, dass die Spieler pausenlos zwischen den Toren hin- und herrennen, was ich nach dem Zufallsprinzip auch unentwegt tat.
    Sehr geduldig bremste Herr Fiene meinen Überschwang und ließ mich einen Freiwurf ausführen. Kraft meines Körpergewichts beförderte ich den Ball zwar ohne Grandezza, aber mit Karacho ins Tor. Zum ersten Mal guckten mich die anderen an. »Du musst erst springen und dann werfen – nicht umgekehrt«, erklärte der Trainer. Und wenig später sagte er noch, dass ich am kommenden Samstag bitte zum Spiel kommen möge. Die Sache mit dem fehlenden Spielerpass würde er schon mit dem Schiedsrichter klären.
    Spiel? Pass? Schiedsrichter? Ich verstand nicht gleich. Sollte ich tatsächlich …? Würde das so eine Sache wie gegen die DDR? Ab sofort war Rolf Fiene mein Vlado Stenzel. Ich raste mit dem Rad nach Hause, ohne die Brücken überhaupt wahrzunehmen. Ich musste von meiner Nominierung berichten. Ungläubiges Staunen in einer Familie, die mich bislang vor allem als Steh-im-Weg erlebt hatte.
    Natürlich begleitete mich mein Vater an diesem größten aller Samstage. Es war eine Win-win-Situation für ihn. Entweder würde er seinen Sohn der Großmäuligkeit überführen, was er als die wahrscheinlichere Variante betrachtete. Oder er wäre der stolze Erzeuger von Germany’s next Deckarm , was ich wiederum für naheliegend hielt. Die Wahrheit lag irgendwo in der Mitte. Dummerweise war mir nicht klar, dass
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