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Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)

Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)

Titel: Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)
Autoren: Sarah Kassem
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Helena die Dauer des Festhaltens für ausreichend befunden hatte, befahl sie Viktor, dass er vor dem Blumenbeet ein kleines Loch graben soll. Als das Loch tief genug war, musste Gem das Kätzchen hineinlegen; das Loch wurde wieder zugeschüttet und Viktor und Gem mussten sich vor das Grab stellen.
    Niemand sagte ein Wort. Man hörte nur eine Taube im Lindenbaum gurren und ein Auto, das die Straße hochfuhr.
    Als zwanzig Minuten um waren, ging Helena in den Geräteschuppen, kam mit einem kleinen Eimer heraus und befahl ihnen, zum Barbacenia-Bauernhof zu gehen und Milch zurückzubringen. Der Bauernhof war nur etwa zehn Minuten von der Schneiderwerkstatt entfernt. Als sie dort ankamen, wusste Hugo, der Bauer, anscheinend schon Bescheid, führte sie in den Stall und zeigte ihnen eine Kuh, die sie mit großen braunen Augen anstarrte und muhte. Er nahm einen kleinen Hocker, setzte ihn unter die Kuh und sagte den Jungs, sie sollten anfangen zu melken. Beide weigerten sich; die Kuh war riesig und ihr Euter war riesig und eklig und hatte dicke, blaue und violette Adern. Als Hugo damit drohte, dass er Helena anruft, falls sie sich nicht jetzt sofort an die Arbeit machen, setzte sich Gem hin, fasste eine Zitze an und versuchte zu melken. Er übergab sich sofort. Viktor versuchte ebenfalls zu melken und konnte nicht aufhören zu würgen. Seine Augen tränten und seine Kehle brannte. Hugo thronte über ihnen und gab knappe Anweisungen über die Kunst des Melkens.
    Zwei Stunden später, es dämmerte schon, hatten sie den Eimer zu einem Viertel mit Milch gefüllt. Als sie mit dem Eimer ins Atelier zurückkamen, mussten sie in ein kleines Schälchen etwas von der Milch füllen und sie dann Kennedy geben. Bis zum Anbruch der Nacht mussten sie dann vor Kennedy stehen und sie um Entschuldigung bitten. Kennedy schaute sie zuerst irritiert an, miaute dann erwartungsvoll, und als nichts weiter geschah, legte sie ihren Kopf hin und schlief ein. Viktor und Gem durften nicht miteinander reden, sondern mussten abwechselnd Kennedy einen Monolog halten, sie um Verzeihung bitten und ganz ausführlich erklären, was sie gemacht hatten und warum es so furchtbar war. Oded musste sie, ohne ein Wort mit ihnen reden zu dürfen, überwachen. Er stand unbehaglich und verlegen daneben und sah betroffen aus, nahm nach einer Weile ein Manga aus seiner Hosentasche und las heimlich. Dann mussten sie ein paar Blumen aus dem Blumenbeet pflücken, ein paar Kerzen anzünden, sich vor dem Grab des Kätzchens hinstellen und so lange warten, bis es Zeit zu schlafen war.
    Im dunklen Garten standen die beiden Jungen und starrten auf das aufgeschüttete Erdloch. Die Grillen zirpten in den Blumenbeeten und der Lindenbaum raschelte leise in der nächtlichen Brise. Die Kerzen verbreiteten einen goldenen Schimmer und Viktor konnte sehen, wie Kennedy träge ihre Kinder ableckte. Er dachte an das Feuerzeug, an den Euter, wackelte ein wenig mit den Zehen und verspürte einen leichten Kopfschmerz. Die James-Bond-Schuhe waren ihm ein wenig zu klein geworden, er merkte auch, dass das Hemd und das Jackett ihm um die Schulter und den Brustkorb zu eng waren. Der Kragen drückte zu fest am Hals. Er dachte an sein neues Geburtstagskostüm und verspürte plötzlich keine Lust mehr, Darth Maul zu sein. Er dachte darüber nach, wer er lieber sein wollte, dachte an das Kätzchen, an ihr struppiges Fell. Dann dachte er an Chewbacca, der auch ein struppiges Fell hatte. Vielleicht könnte er alles wiedergutmachen, wenn er auch ein struppiges Fell tragen würde. Darth Maul war ein Sith und Siths waren böse und gruselig und hatten die Dunkle Seite der Macht. Chewbacca und die Wookiees waren aber groß und stark und Chewbacca war der Freund von Han Solo, er hatte Yoda gerettet und es gab nichts Gruseliges an Chewbacca und seinen Freunden. Er entschied dann, dass er das seiner Mutter noch an jenem Abend vor dem Schlafengehen mitteilen würde.
    Viktor seufzte, und starrte dann wieder auf das Grab.

Anemophilie

     
    „W as hast du jetzt?“, fragte Viktor, als die Pausenklingel ertönte.
    „Bio. Du?“
    „Sport.“
    „Bist du heute bei deinem Vater?“
    „Nein, morgen.“
    „Alles klar.“
    „Dann sehen wir uns heute Nachmittag zu Hause.“
    „Ja.“
    „Ja.“
    „Alles klar.“
    „Alles klar.“
    „Bis dann.“
    Gem ging auf das Schulgebäude zu und Viktor ging zur Sporthalle. Auf dem Weg dorthin ließ er den Sportbeutel auf dem Boden schleifen und zog ihn hinter sich her wie einen
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