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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman
Autoren: Tuomas Kyrö
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Lieferwagenfenster, als der Mercedes davonfuhr. Jegor Kugar setzte sich wieder ans Steuer des Kleinbusses, man hörte ihn in den Kassetten wühlen, und kurz darauf erklangen die Scorpions.
    Bleiben gute Erinnerungen auch in schlechten Stunden gut?

Der Kleinbus fuhr anscheinend am Himmel entlang, unter ihm wogte das Meer, die Wolken hingen tief, und auf dem Meer transportierten Schiffe in Containern brauchbare Produkte und unnützes Zeug. Mit dem Fernglas hätte man den Seeleuten von den Philippinen, aus Vestersund und Kotka dabei zusehen können, wie sie ihre Brötchen verdienten, sprich die Kreditzinsen oder eine große Flasche Absolut beziehungsweise die Alimente oder den zusätzlichen Tausender, der es ihnen ermöglichte, mit der Familie nach Thailand zu fliegen, wo sich früher Perverse und heute Familien an die Strände legten.
    Dann wurden plötzlich die Hecktüren des Busses geöffnet, und Pudas und Tadas erhielten den Befehl, auszusteigen. Ihre Wirkungsstätte sollte die U-Bahn-Station einer Stockholmer Trabantenstadt sein, wo sich gestrandete Finnen schon durchgeschlagen hatten, als man sich noch mit Gambina-Wermut besoff.
    Nun waren im Lieferwagen nur noch Vatanescu und Jegor Kugar übrig. Schweigend saß das Duo vorn nebeneinander, während der Navigator an jeder Kreuzung empfahl, welche Spur man wählen und wo man abbiegen sollte; Ziel war das Terminal, wo Jegor schließlich den Lieferwagen aufs Autodeck der Fähre lenkte.
    Dann betraten sie die Gänge eines Kosmos namens
VIKING LINE
und fuhren in einem vollgestopften Lift zum billigsten Kabinendeck hinunter.
    Die Betten waren an den Wänden festgeschraubt, und als Vatanescu den Vorhang einen Spalt öffnete, gab es kein Fenster dahinter. Jeder, der schon einmal eine Klassenfahrt mit der Helsinki–Stockholm-Fähre unternommen hat, kann sich an die erregte Erwartung erinnern, mit der man seine Kabine bezieht. Davon war jetzt nicht viel zu spüren, aber dafür blieben den Betroffenen auch die Erschöpfung und das unschöne Bewusstsein erspart, dass man seine Unschuld noch immer nicht verloren hatte.
    Jegor Kugar zündete sich neben dem Rauchverbotsschild erst mal eine Zigarette an, zog die Schuhe aus und dehnte eine Weile die Fußgelenke – so wie ein Normalmensch, wie ein unbekannter Kabinengenosse, der auch seine guten Seiten hatte und nicht bloß durch und durch gemein war. Vatanescu kletterte ins Bett und gewöhnte sein Hinterteil an die Matratze.
    Saubere Bettwäsche.
    Kissenbezüge.
    Knirschend legte das Schiff ab, in der Ferne tönte das tiefe Motorengeräusch, in der Nachbarkabine das von Dosenbier befeuerte jugendliche Lachen beiderlei Geschlechts, höhö und hihi. Bald schon tauschte Jegor Kugar den Markentrainingsanzug gegen einen Markenanzug und prüfte seine Erscheinung im Spiegel, aber der lebensgefährlich schwachsinnige Gesichtsausdruck war immer noch derselbe.
    Jegor erklärte, er habe auf dem obersten Deck einen Geschäftstermin, und erinnerte Vatanescu an das Kleingedruckte in Reisebeschreibung und Arbeitsvertrag: Falls Vatanescu die Kabine verlässt, wird Vatanescu sterben. Jegor erschießt ihn, präzisierte Jegor und entblößte die Handfeuerwaffe unter der Achsel.
    Sehe ich so aus, als müsste man mir drohen?
    Ich kann mir nicht mal eine Tasse Kaffee leisten.
    Kann ich es mir da vielleicht leisten, mich einem einohrigen Russen zu widersetzen?
    Autoritäten waren schon immer ein Problem für Vatanescu gewesen, denn die Lehrer hatten den Schalk in seinen Augen als Übeltäterblick interpretiert. Mit der Zeit erlosch der Schalk, oder wurde gelöscht, denn aus dem Jungen wurde ein Mann, und bei den wenigsten Fünfunddreißigjährigen funkeln die Augen noch. Hatte der kleine Vata außerhalb der Schule etwas angestellt oder sich, seiner wahren Natur folgend, als Auseinanderbauer und Zusammensetzer verwirklicht, zückte sein Vater oft die Rute. Letzten Endes war der Vater dann doch nicht fähig, zuzuschlagen, sondern verbrannte die Gerte im Lagerfeuer und bot dem Jungen einen Becher dampfenden Kaffee sowie ein Stück am Stock gebratene Schweineschwarte an – die größte aller Delikatessen, für die man in den nördlichen Ländern keinen Sinn mehr hat, weil man dort dem Essen, das man in den Mund nimmt, nicht mehr ansehen darf, dass es einmal gelebt hat.
    Seine Mutter hingegen zauste ihn, sie gab ihm sogar Ohrfeigen, obwohl sie ihn ganz bestimmt liebte und in dem Schalk seinen Lebenswillen erkannte.

    In dem Moment, als Jegors Lift
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