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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman
Autoren: Tuomas Kyrö
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biss.
    Gerade als er sich auf die Pommes frites des Kindes stürzen wollte, hielt die Bahn an einer Station für einsame Männer, und Vatanescu sah hinter einem Wohnblock einen großen Container. Er stieg aus und steuerte auf den Container zu, in den von allen Seiten Menschen hineinkletterten. Wenig später tauchten dieselben Menschen wieder auf dem Rand des Behälters auf und sprangen mit vollen Plastiktüten auf die Straße. Auch Vatanescu schwang sich jetzt über den Rand. Der Container glich der Welt aus Schokolade, die in einem Märchenfilm für Kinder im dunklen Wald gefunden wird. Filetstücke, Würste, Saft, Milch, Aufschnitt, Brot, Haferflocken. Es gab Gewürze, merkwürdige Piroggen, in die irgendein Brei eingebacken war, es gab Bonbons und Kondome. All das hatte man weggeworfen, weil das Datum auf den Produkten sich mit dem Datum auf dem Kalender deckte.
    Vatanescu jagte und sammelte, was das Zeug hielt, und am Abend schmurgelte ein Anderthalbkilobrocken Schweinenacken auf dem Kugelgrill. Vatanescu und Balthazar schnitten Paprika und Schweinefleisch in Stücke, schlugen Sahne, würzten, wie es nur die Würzmeister aus reichen gastronomischen Kulturen können. Ohne ein Wort zu verlieren, aßen sie alles auf, wischten mit den Endstücken des Baguettes die Reste von Fett und Öl vom Einwegteller und strahlten. Voller Bauch, bessere Laune. Die nächste Ladung auf den Grill, jetzt wird gefeiert!

Die Getränke für das Schweinefest hatte Balthazar besorgt. Der Alte wusste nämlich, dass man im Terminal der Estlandfähre unvorsichtige Alkoholkäufer ausmachen konnte, und dort, hinter einer Säule, hatte seine einzige Hand nach drei Dreiliterkartons lecker Rot und Weiß gegriffen.
    Betrunken fühlt man mehr als mit klarem Kopf, die Zeit dehnt sich, und so ließen Balthazar und Vatanescu ein ums andere Mal Flüssigkeit in ihre Bettelbecher rinnen und redeten zunächst über dies und das, bis sie allmählich auf ernstere Themen zusteuerten. Balthazar erzählte von Neonazis in Ungarn, die mit Baseballschlägern zuschlugen, aber auch von einem alten Dänen, der ohne Bedingung oder gar Begründung ein Geldbündel, das fürs ganze Jahr gereicht hätte, in den Becher fallen ließ. Er erzählte von seiner Familie, die er schon so lange nicht mehr gesehen hatte und von der er nicht mal wusste, ob sie noch lebte oder ob inzwischen ein neuer Mann im Haus die Glühbirnen auswechselte.
    Das Feuer prasselte, und der Wein wärmte Vatanescus Bauch und Herz. Balthazar murmelte, von allen Menschen auf der Welt vermisse er am meisten seine Mutter, die hässliche Schlampe, mit der er immerzu gestritten hatte.
    Jeden Tag lernt mein Sohn was Neues, und ich müsste eigentlich dabei sein.
    Jeden Tag lernt mein Sohn etwas nicht, weil ich nicht da bin, um es ihm beizubringen.
    »Mach aus deinem Leben kein romantisches Problem«, sagte Balthazar. »Es gibt immer Grund zum Maulen. Auch der Besitzer eines dreistöckigen Mietshauses mault. Ministerpräsidenten, Unternehmensberater und charismatische Führungskräfte – alle maulen.«
    Balthazar riss eine Packung Fleischklopse auf. Anschließend kamen Grillsteaks dran, mit Paprika und Kräuterbutter drüber.
    Er ging davon aus, nie mehr von seiner Betteltour nach Hause zurückzukehren. Zum ersten Mal war er in den frühen neunziger Jahren zu einem Auslandseinsatz aufgebrochen, nachdem es möglich geworden war, über die Grenzen zu kommen, oder besser gesagt nachdem es zwingend geworden war, angesichts der minimalen Verdienstmöglichkeiten und staatlichen Hilfe im eigenen Land. Er hatte immer gedacht: Herbst, Winter und Frühling hier, dann ab nach Hause. Aber es hatte keinen Sinn, den Kopf hängen zu lassen, jetzt wird Erntedank gefeiert.
    Jemand brachte eine Ziehharmonika, und Balthazar spielte einarmig eine Polka von Mad Solsky. Er spielte »Das Ende des weinenden Sommers«. Er spielte und spielte, bis bei Vatanescu das Gedächtnis aussetzte und Balthazars Bein versagte und die beiden im wüsten Durcheinander der Stadtbrache nebeneinander im Kies lagen.

Jegor Kugar war als Profi in der Sicherheitsbranche tätig und hatte seine Karriere bereits in der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken begonnen. Später ging der künstliche Staatenbund zwar in Konkurs, doch diese Veränderung der Bedingungen wirkte sich auf Jegor Kugars Leben und Werk nicht weiter aus, jedenfalls nicht negativ. Die Systeme kippen, die Sicherheitspolizei bleibt bestehen. Die Sicherheitspolizei ist das System. Aus
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