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Bestien

Bestien

Titel: Bestien
Autoren: John Saul
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Familie besuchen.«
Linda lächelte ihr zu. »Darf ich mitgehen?«
Kelly zögerte, dann nickte sie.
Eine halbe Stunde später gingen sie an der Kirche vorbei auf
den kleinen Friedhof und näherten sich den drei nebeneinander
aufgereihten Gräbern, die gemeinsam einen breiten Marmorgrabstein hatten. In Kellys Hand waren zwei rote Rosen. Als
sie diese im Blumenladen gekauft hatte, hatte Linda gefragt, ob
sie nicht drei wolle, aber Kelly hatte den Kopf geschüttelt, und
Linda war nicht weiter in sie gedrungen. Nun sah sie zu, wie
Kelly eine Rose behutsam auf das Grab ihrer Mutter, die
andere auf das des Vaters legte. Erst als Kelly sich aufrichtete,
fragte Linda sie, warum sie keine für Mark habe.
Kelly schwieg eine Weile, dann zog sie nachdenklich die
Brauen zusammen. »W-weil er nicht hier ist«, sagte sie mit
kaum hörbarer Stimme.
Linda stockte der Atem. »Nicht hier?«
Kelly schüttelte den Kopf.
»Er ist nicht tot«, sagte sie. Ihre Augen blickten zu den
Bergen im Osten. »Ich glaube, er ist da oben«, sagte sie. »Und
eines Tages wird er zurückkommen.« Ihre Augen fanden die
Lindas, und in ihnen war ein bittender Ausdruck, der Linda zu
Tränen rührte. »Wenn er wirklich tot wäre, wüßte ich es, nicht?
Ich meine, ich würde es fühlen, wie ich es bei Mama und Papa
fühle.«
Linda nickte zögernd.
»Aber bei Mark fühle ich es nicht«, sagte Kelly. »Ich habe
einfach das Gefühl, daß Mark überhaupt nicht tot ist.«
Linda blieb eine Weile still, dann nahm sie Kelly bei der
Hand. »Ich weiß«, sagte sie, als sie beide langsam aus dem
Friedhof gingen. »Ich habe das gleiche Gefühl.« Sie lächelte
Kelly zu und zwinkerte. »Aber wir wollen es niemandem
erzählen, nicht? Es soll unser kleines Geheimnis sein.«
Kelly sagte nichts, drückte aber Lindas Hand.
Nun fühlte sie sich nicht ganz so allein in der Welt.
    »Aber wenn er nicht tot ist?« fragte Phil Collins. Er war in
Marty Ames’ Privatwohnung im Sportzentrum, und obwohl im
Kamin ein Feuer knisterte, vermochte seine Wärme das
Frösteln nicht zu verhindern, das Collins jedesmal befiel, wenn
er aus dem breiten Panoramafenster zu den Bergen hinausblickte. Die Vorstellung, daß Mark Tanner noch immer
irgendwo dort oben leben könnte, verfolgte ihn seit dem
Augenblick, da die Wachmänner von Tarrentech zwei Tage
nach Marks Verschwinden die Suche eingestellt hatten. Aber
Marty Ames sah ihn kopfschüttelnd an, und Collins verspürte
den Stich der unverhohlenen Geringschätzung des anderen.
    »Wie oft muß ich es noch erklären?« sagte Ames in herablassendem Ton. »Er war bereits dem Tode nahe, als er entkam.
Sämtliche Körperfunktionen waren aus dem Gleichgewicht
geraten – seine Wachstumshormone, die Drüsensekretion, alles
mögliche. Sie sahen selbst, wie er war, als wir ihn
hierherbrachten. Er war bereits halb verrückt. Wir konnten ihn
nur mit starken Dosen von Barbituraten einigermaßen unter
Kontrolle halten.«
    »Und das funktionierte auch nicht«, versetzte Collins.
»Gut, ich gebe zu, daß wir ihn nicht hätten verlieren
dürfen«, antwortete Ames. »Aber es ist nun einmal geschehen,
und es ist nicht daran zu zweifeln, daß er tot ist! Gott, Collins,
er war krank, er war am Verrücktwerden, und er wußte nie
etwas vom Überleben in der freien Natur. Glauben Sie
wirklich, er könnte dort oben überlebt haben?«
Er nickte zu den Bergen hin, und wie um seine Worte zu
unterstreichen, pfiff draußen eine Windböe, fuhr in die
Kiefernäste und klapperte mit den Läden.
»Das nicht«, sagte Collins widerwillig. Jeder Tag wurde
kürzer als der Tag zuvor. Obwohl es erst sechs Uhr war,
herrschte draußen bereits Dunkelheit. Die Berge waren jetzt
mit Schnee bedeckt, und heute früh hatte er die ersten Skifahrer
taleinwärts zum Lift fahren sehen, die ersten dieses Jahres.
Was Ames sagte, leuchtete ein. »Trotzdem wünschte ich,
wir wüßten es mit Bestimmtheit.«
»Das werden wir nie«, sagte Ames und signalisierte das
Ende der Unterredung, indem er aufstand.
Collins trank den Rest seines doppelten Bourbon, stellte das
Glas weg, stemmte sich aus dem Sessel hoch und ging zur Tür,
wo seine dicke wollene Winterjacke an einem Messinghaken
hing. Er fuhr hinein und beäugte Ames wachsam über die
Schulter. »Was ist mit den übrigen Jungen?« fragte er. »Wie
sehen sie aus?«
Ames gab ihm ein winterliches Lächeln. »Wenn Sie meinen,
ob welche von ihnen krank sind, dann lautet die Antwort nein«,
sagte er kühl. »Und wenn Sie meinen, ob andere von ihnen
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