Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beruehre meine Seele

Beruehre meine Seele

Titel: Beruehre meine Seele
Autoren: Rachel Vincent
Vom Netzwerk:
jung und mit Computern aufgewachsen war, sodass er sich mit solchen Dingen auskannte. „Heute brauchte ich mir aber gar nicht erst die Mühe machen zu spionieren. Als ich vorhin in die Zentrale kam und meine eigene Liste abholen wollte, hat Levi mich unter einem äußerst seltsamen Vorwand in sein Büro geschickt. Und dreimal dürft ihr raten, was da ganz offen auf seinem Schreibtisch rumlag.“
    „Und du hast natürlich einen Blick drauf geworfen“, fügte mein Vater hinzu.
    „Ich bin ein Reaper, kein Heiliger. Ist auch egal, ich glaube, er hat die Liste absichtlich liegen lassen, und zwar so, dass ich sie gar nicht übersehen konnte.“
    „Wieso sollte er das tun?“ Nicht einmal die dunkle Wolke des Unheils, die über mir schwebte wie ein Damoklesschwert, schaffte es, meine Neugierde komplett auszuschalten.
    Todd zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht kann er mich gut leiden. Oder dich .“ Ich hatte Levi, Todds Boss, nur ein einziges Mal getroffen, und bei diesem kurzen Kennenlernen war er recht beeindruckt von meinem Scharfsinn gewesen. Aber so beeindruckt, dass er mir eine heimliche Warnung wegen meines eigenen bevorstehenden Todes zukommen ließ? Möglich, nur …
    „Weshalb?“ Ich forschte in Todds Augen nach einer ehrlichen Antwort. Wäre er Nash, hätte mir allein das Flirren der Farben in seiner Iris verraten, was er empfand. Todd dagegen war, genau wie mein Vater, zu gut darin, seine Gefühle zu verbergen. Und das tat er so gut wie ständig, nur selten ließ er eine Emotion nach außen durchschimmern.
    „Weshalb er dich mögen sollte?“ Todd hielt meinem Blick unbeeindruckt stand.
    „Na ja, du ziehst die unschönen Aspekte des Lebens und alles, was damit zu tun hat, an wie ein Magnet. Levi gehört als Reaper eindeutig in diese Kategorie, würde ich sagen.“
    Ich hatte nicht die geringste Vorstellung, wie alt Levi sein mochte, wahrscheinlich irgendwo im dreistelligen Bereich. Äußerlich wirkte er allerdings extrem jung, wie ein pickliger Achtjähriger, dazu einen ganzen Kopf kleiner als ich. Das, zusammen mit der Tatsache, dass jeder in seiner Branche technisch gesehen tot war, machte ihn für mich zu einem der unheimlichsten Reaper überhaupt. Leider hatte ich ja in letzter Zeit diverse Kontakte mit anderen seiner Art gehabt, was mir einen direkten Vergleich erlaubte.
    Aber Todd hatte meine Frage missverstanden.
    „Nein, ich meinte, welchen Grund könnte er haben, es mich wissen zu lassen? Und welchen hast du? Nash hat gesagt, wir sollten niemanden vorwarnen, wenn er bald sterben wird, weil derjenige, sobald er es weiß, kaum noch die Chance hat, wenigstens ein paar schöne Momente zu erleben, ehe es vorbei ist. Und ich muss sagen, das leuchtet mir jetzt noch mehr ein als vorher.“ Ich kannte nicht mal das genaue Datum meines Todes, aber allein zu wissen, dass er unmittelbar vor der Tür stand, ließ meinen Magen beim bloßen Gedanken an Essen revoltieren.
    „Grundsätzlich ist das richtig …“, sagte mein Vater, verstummte dann jedoch mitten im Satz, als Todd ihn mit einem typisch finsteren Lächeln bedachte.
    „Du bist die große Ausnahme bei so vielen Regeln. Wieso sollte es gerade in diesem Fall anders sein?“
    „Willst du damit sagen, ich wäre so etwas Besonderes, dass ich zumindest den Luxus der Vorfreude verdiene?“, fragte ich bissig und hoffte inständig, seine Bemerkung nur in den falschen Hals bekommen zu haben.
    „Nein, absolut nicht.“ Mein Vater schüttelte den Kopf. „Aber du kennst das Sprichwort ‚Gefahr erkannt, Gefahr gebannt‘. Ein Unheil, das man nicht kommen sieht, kann man nicht verhindern.“
    „Ihr habt vor, es zu verhindern?“ Diese Möglichkeit war mir seltsamerweise noch gar nicht in den Sinn gekommen. Ich meine, es hatte schon einmal jemand diesen Kampf für mich geführt – und immerhin einen Teilsieg davongetragen. Aber so sehr ich auch weiterleben wollte, es schien mir nicht fair zu sein, dem Tod noch mal einen Strich durch die Rechnung zu machen. Niemand, den ich kannte, hatte auch nur ein einziges Mal eine solche Chance bekommen, geschweige denn zwei.
    Und außerdem gab es da noch ein anderes Problem. Ein gewaltiges: Um meine Zeit zu verlängern – schon wieder –, müsste jemand an meiner Stelle sterben. Schon wieder. Damit könnte ich nicht leben. Unmöglich.
    „Natürlich werden wir alles versuchen!“, beharrte mein Vater. „Es gibt Wege, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, wenigstens für eine gewisse Zeit. Wir wissen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher