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Beruehre meine Seele

Beruehre meine Seele

Titel: Beruehre meine Seele
Autoren: Rachel Vincent
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Kühlschranktür. Doch mein Vater legte sanft aber, bestimmt seine warme Hand auf meine und drückte die Tür wieder zu.
    „Kaylee, bitte setz dich hin. Wir müssen reden.“
    „Ich weiß.“ Das Problem war nur, dass ich nicht anders konnte, als mich irgendwie abzulenken. Ich hatte panische Angst davor, dass der dichte Nebel, der sich schützend um meinen Verstand gelegt hatte, ansonsten sofort verschwinden würde und ich der hässlichen Wahrheit ins Gesicht sehen müsste.
    Dabei hatte ich mich für meinen Geschmack mit meinen fast siebzehn Jahren bereits mit mehr als genug grausamen Wahrheiten auseinandersetzen müssen.
    Schließlich nickte ich widerwillig. Mir war es nie vergönnt gewesen, unangenehmen Dingen lange aus dem Weg gehen zu können. Warum sollte es also dieses Mal anders sein? Ich zog die Kühlschranktür erneut auf, holte eine Dose Cola heraus, dann trottete ich hinter meinem Vater ins Wohnzimmer. Dort wartete Todd schon auf uns, wie üblich in Dads Lieblingssessel gelümmelt. Erstaunlicherweise kassierte er jedoch heute keinen Rüffel dafür. Anstatt Todd mit einer Tracht Prügel zu drohen, wenn er nicht sofort das Feld räumte, setzte mein Dad sich wortlos mit mir auf die Couch, und ich konnte ihm ansehen, dass er mich am liebsten in den Arm genommen und getröstet hätte. Aber er tat es nicht. Er schien zu spüren, wie sehr sich alles in mir dagegen wehrte, so eine Geste der Trauer zuzulassen. Denn wenn ich das täte, würde mir endgültig bewusst werden, dass dies alles hier kein Traum war, es passierte tatsächlich. Und egal, wie wenig Zeit mir noch blieb, ich wollte diese unumgängliche Erkenntnis so lange wie möglich hinausschieben. Nur noch ein paar Minuten. Oder Stunden.
    Also beschloss ich, mich stur auf die Fakten zu konzentrieren und die Wahrheit auszublenden. Auch wenn das absurd erschien, zwischen diesen beiden Dingen herrschte ein großer Unterschied.
    „Hast du ganz sicher meinen Namen gelesen?“, fragte ich und umklammerte die Dose mit beiden Händen, obwohl sie eiskalt war und meine Finger anfingen, sich steif anzufühlen. Gut so. Solange ich das noch spüren konnte, war ich zweifelsohne am Leben.
    Todd nickte geknickt. „Normalerweise bekomme ich die Namen der nächsten Kandidaten höchstens zwei Tage im Voraus zu Gesicht, aber du stehst auf der Spezialliste.“
    Spezialliste.
    Für die Sonderfälle – wie mich –, die eigentlich schon hätten gestorben sein müssen, dank geborgter Zeit aber trotzdem weiterlebten. Meine eigene Zeit wäre unter normalen Umständen abgelaufen gewesen, als ich drei war. Viel zu jung, um mich zu erinnern, daher wusste ich nur, was man mir über jene Nacht später erzählt hatte. Ich sollte am Rand einer vereisten Straße umkommen, durch einen Autounfall. Meine Eltern aber konnten den Gedanken, ihr einziges Kind zu verlieren, nicht ertragen. Darum feilschte mein Vater mit dem Reaper, der meine Seele holen sollte, und bat ihn, mich zu verschonen und stattdessen ihn zu töten. Der Bastard ging auf den Handel ein, nur brachte er nicht wie vereinbart meinen Vater um, sondern meine Mutter.
    Und so hatte ich – wortwörtlich – ihr Leben gelebt, dreizehn Jahre lang. Jetzt aber neigte sich ihre natürliche Lebensspanne dem Ende zu, und das bedeutete, ich würde sterben.
    Zum zweiten Mal.
    „Du bist doch noch gar nicht so lange dabei“, sagte mein Vater skeptisch. „Wie kommt es, dass du schon Zugang zur Spezialliste hast?“ Dad brachte Todd gewohnheitsmäßig ein gewisses Misstrauen entgegen, weil er ihn schlichtweg nicht mochte, aber hinter diesem Fall von Argwohn steckte ein anderer Grund. Einer, den ich nachvollziehen konnte.
    Wenn Todd sich irrte oder sogar log, warum auch immer er das tun sollte, würde ich diese Welt vielleicht doch noch nicht verlassen. Dann wäre meine geborgte Zeit nicht schon bald um und würde mir schneller durch die Finger rinnen als eine Handvoll Sand.
    „Ja, und das ist das Merkwürdige an der Sache“, stimmte Todd meinem Vater zu. „Offiziell habe ich keinen Zugriff darauf, obwohl ich mit ein bisschen Tricksen an die Datei kommen könnte, wenn ich wollte. Aber dazu hätte ich natürlich erst mal wissen müssen, dass die neue Liste fertig war, und da liegt der Hase im Pfeffer. Ich wusste es nicht.“ Todd verfügte über die Passwörter seines Vorgesetzten, denn er war derjenige, der sie für ihn eingerichtet hatte. Das allerdings nur aus dem Grund, weil es außer ihm nur noch einen anderen Reaper gab, der genauso
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