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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition)
Autoren: Joachim Käppner
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hat ihn öffentlich beschimpft. Wütende Stahlarbeiter aus Rheinhausen stürmten 1987 die Villa Hügel. Und die Leitartikler der Wirtschaftspresse wollten schon 1966 gewusst haben, dass einer wie Beitz mitsamt seinen sozialen Überzeugungen hoffnungslos von gestern sei. Dreiundzwanzig Jahre später, 1989, behauptete ein Fachblatt angesichts der Querelen um seinen Abschied als Krupp-Aufsichtsratsvorsitzender, sein »letztes Gefecht« sei nun aber wirklich angebrochen.
    Und doch – wir schreiben inzwischen das Jahr 2010 – ist er immer noch da, »der letzte Patriarch« der deutschen Industrie, wie das manager magazin schrieb, faktisch auf Lebenszeit Vorsitzender der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Er residiert in unmittelbarer Nähe der Villa Hügel, dem Ort des Aufstiegs wie der Nemesis der Familie Krupp. Nur selten gibt er noch Interviews. Oft aber empfängt er Besucher, die im Speisezimmer der Stiftung bewirtet werden und die in dem alten Herrn noch immer einen präsenten, geistreichen Gastgeber erleben.
    Er hat nie Memoiren verfasst, obwohl ihn viele dazu aufforderten. Als ihm die Ruhr-Universität Bochum 1999 die Ehrendoktorwürde im Fach Geschichtswissenschaft verlieh, sagte der damalige Bundespräsident und Beitz-Vertraute Johannes Rau in seiner Laudatio: »Wäre ich mächtiger, als ich bin, würde ich den Versuch machen. Ich würde Berthold Beitz mit der Ehrendoktorwürde ein zusätzliches Geschenk machen und es an Bedingungen knüpfen. Das Geschenk wäre ein handliches kleines Diktiergerät und ein Kasten mit vielen Kassetten. Und dann würde ich sagen: Herr Beitz, Sie sind jetzt Ehrendoktor der Geschichtswissenschaft, tun Sie bitte, was Historiker tun, erzählen Sie, und täte er es, dann hätten wir in einigen Monaten und in einigen Jahren aufregende Bücher zu schreiben. Wie oft habe ich Berthold Beitz, wenn er abends etwas erzählte, gesagt: Sie müssen das aufschreiben. Sprechen Sie es wenigstens auf Band.«
    Es lag ihm nicht, er wollte nicht über sich selbst sprechen oder gar schreiben, nicht in den Verdacht des Selbstlobs geraten. Er wollte lange auch nicht, dass andere an seiner statt für ihn schreiben. Literatur über ihn selbst und sein Leben ist daher recht rar; lediglich seine Rettungsaktionen für die Juden von Boryslaw und seine späteren Kontakte in den Ostblock sind einigermaßen gut dokumentiert.
    Berthold Beitz hat erst spät, in sehr hohem Alter, einer Biographie zugestimmt, diesem Buch. Im vollen Wissen, dass ein solches Werk immer nur eine Annäherung an ein fremdes Leben sein kann, will der Autor – gestützt auf viele Gespräche mit Berthold Beitz, seiner Familie und Zeitzeugen, aber auch auf viele, teils neue schriftliche Quellen – versuchen, sich seiner Hauptperson so unvoreingenommen, einfühlsam und kritisch wie möglich zu nähern. Das vorliegende Buch möchte einen Lebenslauf beschreiben, der ein Jahrhundert umspannt und der all dessen Katastrophen und Errungenschaften widerspiegelt.
    Joachim Käppner, im Oktober 2010

Kindheit und Jugend
    ZEMMIN: EIN KLEINES DORF IN POMMERN
    Die Welt dreht sich langsam, als Berthold Beitz noch ein kleiner Junge ist. Und die Welt, in die er 1913 hineingeboren wird, ist das pommersche Land, in dem das Leben dem Rhythmus der Jahreszeiten und den festgefügten Gesetzen der Ordnung und Unterordnung folgt, die den einfachen Leuten vorkommen mussten, als seien sie für die Ewigkeit gemacht. So kann es noch immer geschehen, dass Landarbeiter ihre Existenz verlieren, weil sie vor dem Gutsbesitzer nicht rechtzeitig den Hut ziehen. Einer beliebten Legende nach soll Otto von Bismarck einmal gesagt haben: Wenn die Welt untergeht, würde er sich nach Mecklenburg begeben, denn dort passiere alles hundert Jahre später. Dasselbe ließe sich vor dem Ersten Weltkrieg von der benachbarten Provinz Pommern sagen, jenem weiten Land unter preußischer Fahne, das entlang der Ostseeküste bis fast nach Danzig reicht. Im äußersten Westen der Provinz, noch westlich der Oder, liegt das Dorf Zemmin inmitten »wässeriger Orte«, wie die Vorfahren sagten, Sümpfen und feuchten Wiesen, Seen und Alleen. Das Meer ist schon sehr nah. Wie viele Dörfer seiner Art ist Zemmin nicht viel mehr als eine Ansammlung oft nur einstöckiger Häuser entlang der Dorfstraße, auf deren Kopfsteinpflaster die eisernen Radbeschläge der Pferdewagen klappern.
    Zwischen Wiesen und Gärten führt ein Seitenweg zum Dorfteich mit seinen Trauerweiden und zum Sobeck’schen
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