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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition)
Autoren: Joachim Käppner
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ich einfach nach Jerusalem gekommen bin. Es war nicht nötig, ihn anzusprechen.« Zu viele Menschen, zu viele Fragen, die auf Beitz einstürmen. Nach der Feier verlässt Rotenberg still den Hain und fährt nach Hause, zurück in die Gegenwart und sein Leben. Er weiß, wem er es verdankt.
    Der Berthold Beitz, den die drei Ziff-Brüder aus den Essen-Besuchen ihrer Kindheit kannten, war der mächtige Lenker des Krupp-Konzerns, aber auch der Großvater, der aussah wie ein Schauspieler, eine gewaltige Sammlung von Jazzplatten besaß, abends aus dem Dienstwagen stieg und noch im Anzug und feinen Schuhen mit den Enkeln Fußball spielte. »A pretty cool guy« sei dieser Großvater für sie gewesen, sagt Dirk Ziff, ein ziemlich cooler Typ. Aber diese eine, für sein Leben so prägende Geschichte kannten sie nicht: Beitz hatte in den Jahren 1942 bis 1944 Hunderte von Verfolgten vor dem Holocaust gerettet. Und nun, in Israel, so sagt Beitz in seiner Ansprache, »erlebe ich eine der bewegendsten Stunden meines Lebens«.
    So viele Jahre sind vergangen, fast ein halbes Jahrhundert, seit ein 28-jähriger Industriekaufmann auf dem Bahnhof der kleinen polnischen Stadt Boryslaw gestanden und mit bewaffneten SS -Männern um das Leben vieler Menschen gerungen hatte, inmitten apokalyptischer Szenen aus Befehlsgeschrei, dem Gebell der Wachhunde, dem Weinen der Kinder, den verzweifelten Schreien der Menschen, die in Viehwagen deportiert wurden, fort in den Tod. Er denkt an die junge Büroangestellte, die er mit ihrer Mutter aus einem Waggon holte, weil sie angeblich unabkömmlich für seinen Ölbetrieb war. Der SS -Mann, der ihn voll Widerwillen betrachtete, fuhr ihn an: »Und die Alte da? Sie muss wieder in den Waggon.« Beitz konnte nichts tun. Da sagte die Tochter, die eigentlich schon gerettet war, zu ihm: »Ist es erlaubt, Herr Direktor? Dann gehe ich auch zurück.« Er hat die beiden Frauen nie wiedergesehen. In Jerusalem erzählt er diese Geschichte als »erschütterndes Zeugnis hoher ethischer Gesinnung in barbarischer Zeit. Es wird mich ein Leben lang begleiten.« Und als Beitz diese Worte spricht, sehen ihn die Enkel erstmals weinen.
    Umgeben von kleinen Mauern aus dem hellen Jerusalem-Stein stehen Johannisbrotbäume im »Hain der Gerechten«. Auch Berthold Beitz pflanzt 1990 einen Baum, sein Name wird fortan auf einer Tafel verewigt sein. 2008 wird seine Frau Else, die Vertraute und Verbündete der Rettungsaktionen, ebenfalls als »Gerechte unter den Völkern« ausgezeichnet.
    So weht nun die leichte Brise im Tal der Erinnerung durch die Zweige von einigen hundert Bäumen, 476 sind es Anfang 2010. Je ein Baum für einen Namen – für Deutsche, die den Verfolgten geholfen haben. Für den Oberfeldwebel Albert Battel, der seine Soldaten sogar die Waffen auf die SS richten ließ, um die Deportation der Juden von Przemyśl zu verhindern. Für Major Eberhard Helmrich, der gar nicht weit von Boryslaw entfernt auf seinem Landgut jüdische Arbeiter vor den Mördern rettete, aus Berlin unterstützt von seiner Frau Donata.
    So wenige Bäume. Und so viele wären es dagegen, wüchse auch irgendwo ein Baum für jeden, der am Holocaust beteiligt war, nicht nur als sadistischer Lagerkapo oder als Polizeireservist bei den Massenerschießungen, nein, auch als Buchhalter des Todes in der Zivilverwaltung, als Reichsbahner, der Deportationszüge nach sorgfältiger deutscher Beamtenmanier rollen ließ, als Wehrmachtssoldat, der in den Wäldern Weißrusslands dem Terrorapparat bei der Suche nach versteckten jüdischen Familienlagern half. Hunderttausende Deutsche waren unmittelbar am Genozid beteiligt, als Täter, Helfer, Profiteure. Und es gab überdies Millionen, die vieles wussten und doch nichts wissen wollten. Ein ganzer Wald wäre das, ein Wald aus Unmenschlichkeit.
    Die Täter standen nicht allein, sondern dienten, ob aus Grausamkeit oder Gehorsam, einem mächtigen System, das fast ganz Europa unter seine Stiefel getreten hatte. Sie mussten nichts fürchten, außer vielleicht der Stimme des eigenen Gewissens. Allein standen dagegen Menschen wie Berthold Beitz, fassungslos über die Verbrechen und das aus den Fugen geratene Zeitalter. Beitz hatte keine andere Waffe gegen die Täter als die Kraft des eigenen Willens und die Freiheit des Geistes. »Wer diese Zeit nicht miterlebt hat, kann sich kaum ein Bild davon machen, in welcher Lebensgefahr Herr Beitz geschwebt hat.« Das schrieb, lange nach dem Krieg, Evelyn M. Martin aus den USA , als
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