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Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection

Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection

Titel: Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection
Autoren: Uwe Klausner
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seinem Kontrahenten ab, rückte seine Krawatte zurecht und richtete sich auf. »Das heißt, falls Sie den heutigen Tag überleben.«
     
    *
     
    Als der Direktor der Städtischen Kunstsammlungen von Königsberg ins Freie trat, prallte er entsetzt zurück. In der Stadt am Pregel, insbesondere auf der Dominsel, war nichts mehr so wie früher. Die Stadt war dem Erdboden gleichgemacht, in nur neun Minuten von der Landkarte getilgt worden. Selbst jetzt, mehrere Stunden nach dem Angriff der Briten, loderten überall Brände empor, und der Qualm, der ihm entgegenschlug, raubte ihm fast den Atem. Je weiter er sich vom Bunkereingang entfernte, desto größer das Chaos, durch das er sich seinen Weg bahnte. Ein feuchtes Taschentuch vor dem Mund, tastete er sich Schritt für Schritt voran, vorbei an Schuttbergen, Trümmern und verkohlten, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Leichen. Hin und wieder kreuzten Bekannte seinen Weg, in sich gekehrt, apathisch und tief gebeugt. Die einen mit Leiterwagen, auf denen sich ein paar Habseligkeiten befanden, die anderen mit Rucksack und die meisten nur mit dem, was sie am Leib trugen. Alfred Rohde rang nach Luft, vom Gestank nach verbranntem Fleisch und Phosphor wurde ihm speiübel. Der Asphalt war glühend heiß, an einigen Stellen sogar geschmolzen. Wo er auch hinsah, nichts als Ruinen, Autowracks und Geröllhaufen.
    Auf dem Paradeplatz, einem weitläufigen, von der Universität, dem Theater und der Königshalle begrenzten Areal, reihte sich eine Schutthalde an die andere. Einzig das Reiterstandbild Friedrich Wilhelms III. befand sich noch an Ort und Stelle vor der Albertina, wie verloren zwischen Bombenkratern, verkohlten Bäumen und Straßenlaternen, die wie welke Grashalme umgeknickt worden waren. Wenn es die Hölle auf Erden gibt, kam es Rohde im Vorbeigehen in den Sinn, dann hier in Königsberg. Doch so sehr ihm die Trümmerlandschaft unter die Haut ging, er hatte noch eine Mission zu erfüllen. Ungeachtet der Tatsache, dass gerade eine Welt untergegangen war.
    Die Welt, in der er lebte, war nämlich eine ganz andere. Die Welt des Kunsthandwerks und der Malerei: Sie war es, in der er sich heimisch fühlte. Aber vor allem galt seine Leidenschaft dem Bernstein, dem Ostseegold, wie er hierzulande genannt wurde. Für das honigfarbene, aus unvordenklichen Zeiten stammende Kleinod würde er sich in jede noch so große Gefahr begeben, auf das Risiko hin, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Denn gefährlich war das, was Alfred Rohde tat, allemal. Der Angriff war zwar vorbei, die Gefahr, unter einer herabstürzenden Hauswand begraben zu werden, jedoch beileibe noch nicht gebannt. Und so vergaß er den Vorhof der Hölle, in den es ihn verschlagen hatte, ließ den Paradeplatz hinter sich und bog in die Junkergasse ein. Auch hier das gleiche Bild: geschmolzener Asphalt, deformierte Straßenbahnschienen, wie Kartenhäuser zusammengestürzte Fassaden.
    Auf dem Schlossplatz angekommen, wurden seine Befürchtungen bestätigt. Von der einstigen Pracht und Herrlichkeit war kaum etwas übriggeblieben, das Wahrzeichen der Stadt nahezu vollständig niedergebrannt. Rohde wurde schwarz vor Augen, es schien, als reiße man ihm das Herz aus der Brust. Kurz darauf, im Angesicht rußgeschwärzter Trümmer, verkohlter Balken und zerborstener Fensterläden, gab er sich allerdings einen Ruck, durchquerte das Schlossportal und betrat den Hof.
    »Herr Direktor – gut, dass Sie da sind!«, rief ihm der Kastellan vom Südflügel aus zu, den er soeben inspiziert hatte. »Ich dachte schon, Ihnen sei etwas …«
    »Danke der Nachfrage, Friedrich«, warf Rohde freundlich, aber bestimmt ein, »doch Sie werden verstehen, dass es momentan weit Wichtigeres als mein persönliches Wohlbefinden gibt.«
    Der Schlossverwalter, ein knorriger Ostpreuße, den so schnell nichts erschüttern konnte, hob beschwichtigend die Hände. »Kein Grund zur Beunruhigung, Herr Direktor«, wiegelte er mit unüberhörbar masurischem Timbre in der Stimme ab. »Das Bernsteinzimmer ist heil geblieben.«
    »Heil?«, wiederholte Rohde, als könne er es selbst nicht glauben. Und bohrte nach: »Sind Sie sich dessen auch ganz sicher?«
    Der Kastellan nickte. »Spiegel, Paneele, Figuren, Mosaike – alles noch an Ort und Stelle. Verpackt in 24 Kisten.« Anschließend wurde er wieder ernst. »Nichts für ungut, Herr Direktor – aber manchmal denke ich, das Zimmer wäre besser in Russland geblieben.«
    »Im Besitz der Bolschewisten? Das kann nicht Ihr Ernst
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