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Bernie allein unterwegs

Bernie allein unterwegs

Titel: Bernie allein unterwegs
Autoren: Sabine Thiesler
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eine Pfütze zu finden, die ich austrinken konnte. Die Schiffe im Hafen lagen im Wasser, aber ich hatte den Eindruck, dass schon mal mehr Wasser im Hafenbecken gewesen war, denn kein Mensch konnte von den tief liegenden Booten bis auf den viel, viel höher gelegenen Kai klettern, aber das war mir wurscht. Ob im Hafen genug Wasser war oder nicht, das war mein kleinstes Problem: Ich war kurz vor dem Verdursten, und dieses Problem zu lösen war das Wichtigste überhaupt.
    Die Straße hinter dem Hafen, die ich entlangrannte, war nur kurz. Und plötzlich stand ich mitten auf dem riesigen Platz der Stadt. Ich war überwältigt und stellte mir vor, dass hier freitags immer ein Markt aufgebaut war, wo die Metzger an ihren Buden
von großen Fleischstücken die Knochen auslösten, das Fett und die Schwarte abschnitten und alles hinter sich auf die Erde warfen. Ein Hunde-Bernhardiner-Schlaraffenland!
    Leider war der riesige Platz heute wie leer gefegt, aber das Wichtigste war Hundegott sei Dank da: ein Brunnen!
    Ich rannte hin, sprang hinein und trank, bis ich nicht mehr konnte und mir fast ein bisschen schlecht wurde.
    Dann schüttelte ich mich, setzte mich auf die Stufen vor dem Brunnenrand und beobachtete die Leute um mich herum.
    Vor einer Drogerie stand ein kleines Mädchen. Zehn, elf Jahre alt, schätzte ich. Sie stand da und langweilte sich. Vielleicht wartete sie auf ihre Mutter. Das war ja alles noch nicht so wahnsinnig spannend, aber was mich fast um den Verstand brachte, war das riesige aufgeschnittene Brötchen, das sie in der Hand hielt, und darin eine fette Bratwurst. Ein überirdisch großer Hotdog. Wie dumm waren die Menschen eigentlich, dass sie ein simples Brötchen mit einer Wurst »heißer Hund« nannten. Das war fast eine Frechheit, aber dennoch lief mir das Wasser in der Schnauze zusammen: ein Königreich für diesen »heißen Hund«.
    Ich lief zu dem Mädchen, das gerade wieder etwas von der herrlichen Wurst abbiss, was in mir eine Panik auslöste, setzte mich vor sie hin und sah sie an. So schmachtend, liebevoll und sehnsüchtig, wie ich konnte. Wenn ich so geguckt hatte, hatte mir Paule immer ein Stückchen Käse gegeben, obwohl Frau Küster geschimpft und gesagt hatte, dass Welpen so etwas überhaupt noch nicht vertragen könnten. Aber es hatte köstlich geschmeckt, und mir war niemals auch nur ein kleines bisschen
schlecht geworden. Ich hatte auch keine Bauchschmerzen oder Durchfall bekommen, wie Frau Küster prophezeit hatte. Frau Küster hatte eben einfach keine Ahnung, oder sie war einfach nur gehässig und geizig und gönnte uns kleinen Hunden absolut gar nichts.
    Alte Garstzicke, Giftspritze und Neidglucke.
    So herzerweichend wie damals guckte ich, und das Mädchen sah mich an.
    »Hei«, sagte sie. »Hast du Hunger?«

    Ich versuchte zu nicken, aber das war so heftig, dass es aussah, als würde ich mich schütteln, und ein bisschen Spucke flog durch die Luft.
    »Iiiihhh!«, schrie das Mädchen und brachte ihre Wurst vor mir in Sicherheit.
    Das war also völlig schiefgegangen.

    Ich robbte näher an sie heran, obwohl Frau Küster uns immer davor gewarnt hatte, Fremden zu nahe zu kommen, schmiegte mich an sie und sah auf die Wurst. Nur auf die Wurst. Als wäre ich seit zehn Jahren in sie verliebt.
    Das Mädchen brach ein winziges Stück Wurst ab und hielt es vor meine Schnauze. Das war zu viel. Ich schnappte danach, gierig und heißhungrig. Im letzten Moment konnte ich mich gerade noch zurückhalten, gleich die ganze Hand von dem Mädchen mitzufressen. Aber sie spürte, was ich für einen Hunger hatte, und gab mir mehr. Immer mehr. Ich merkte, dass sie das ganze Brötchen und die ganze Wurst an mich verfüttern wollte, und war ganz zärtlich. Sanft nahm ich die Bissen, die sie mir anbot, und mit jedem Stück, das ich runterschluckte, konnte ich sie besser leiden.
    Sie hatte störrisches hellblondes Haar, das wüst vom Kopf abstand, leuchtend blaue Augen und rötliche, pausbäckige Wangen. Ich fand sie wunderschön.
    Als ich aufgefressen hatte, lachte sie und streichelte mir über den Kopf.
    »Wie heißt’n du?«, fragte sie.
    Ich bellte brav meinen Namen, obwohl ich genau wusste, dass sie mich nicht verstehen konnte.
    Langsam setzte sie sich in Bewegung und ging quer über den Platz. Ich folgte ihr und ging dicht neben ihr. Plötzlich fing sie an zu rennen. Ich konnte mit ihrem Tempo lässig Schritt halten und blieb immer auf Tuchfühlung. Als sie abrupt stehen blieb, bremste ich scharf und sah
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