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Bergwasser: Ein Schweiz-Krimi (German Edition)

Bergwasser: Ein Schweiz-Krimi (German Edition)

Titel: Bergwasser: Ein Schweiz-Krimi (German Edition)
Autoren: Sabina Altermatt
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Materialaufbereitungsanlage mit Beton- und Kieswerk.
    In Repiano stieg Julia in einen Bus um. Unten im Tal lag Monda, dahinter schoss der Berg steil in die Höhe. Mit Sonne wurde man hier nicht verwöhnt. Ein paar Hundert Meter vom Dorf entfernt sah sie das Barackendorf. Der Bus schlängelte sich hinunter ins Tal. Die Haltestelle lag unmittelbar vor der Barriere, die den Weg zur Baustelle abriegelte. Dahinter war Fahrverbot.
    Julia ging den Kiesweg entlang, er führte direkt zu den Holzbaracken. Die vorderste hatte vorne einen verandaähnlichen Anbau. Das musste der Haupteingang sein. Zu sehen war niemand. Sie stieg die Treppe hinauf, betrat die Baracke und befand sich in einer Schmutzschleuse. Hier zogen sich die Tunnelarbeiter um. Vor den in mehreren Reihen aufgestellten Spinden standen geputzte Stiefel. Manche der Metallschränke waren offen. Aus ihrem Inneren quollen orangefarbene Overalls. Der Boden war blitzsauber geputzt.
    Julia fühlte sich ein wenig unbehaglich in ihren Wanderschuhen. Sie streckte zuerst das eine Bein nach hinten und betrachtete ihre Schuhsohle, dann das andere. Alles war sauber. Mehr oder weniger. Dann durchquerte sie den Raum, indem sie möglichst vorsichtig auftrat.
    »Zutritt nur mit Hausschuhen. Gilt für alle.«
    Julia erschrak. Hinter ihr stand eine vollschlanke Frau Ende zwanzig mit einer Schürze, die Hände hatte sie in die Seiten gestützt.
    »Verzeihen Sie.« Julia machte sich daran, die Schuhe ausziehen.
    »Die Bauleitung ist in der Kantine«, sagte die Frau schroff.
    Julia sah sie fragend an.
    »Kommen Sie!«
    Die Kantine war einfach eingerichtet, lange Tische und Stühle, Neonröhren an der Decke. An den Wänden hingen Plakate und Fotos, die mit Klebstreifen auf Packpapier befestigt waren. Darauf sah man Arbeiter. Wie sie einander zuprosteten oder stolz vor dem Tunnelportal standen. Im Hintergrund prangte der Bergmannsgruß »Glückauf« mit den gekreuzten Werkzeugen Schlägel und Bergeisen. Einer der abgebildeten Männer hatte eine Girlande um den Hals hängen. Vielleicht der Arbeiter des Monats? Auf einer kleineren Aufnahme war der Bohrkopf der Tunnelbohrmaschine abgebildet. Das musste kurz nach der Montage gewesen sein. Er war rot mit weißen Schneidrollen. Bohrköpfe verließen ihre Firma nur in lackiertem Zustand, auch wenn nach ein paar Umdrehungen der ganze Lack ab war. Je nach Wunsch des Kunden in einer bestimmten Farbe. An der anderen Wand prangte ein großes Rauchverbotsschild.
    In einer Ecke stand die heilige Barbara, die Schutzherrin der Tunnelbauer, umgeben von brennenden Kerzen. Daneben war das Foto eines ziemlich jungen Mannes aufgestellt, beleuchtet von zwei Grablichtern.
    »Simon. Simon Brandl«, sagte die Frau, und Julia war sich nicht sicher, ob sie eine Träne abwischte oder einfach so mit den Fingern übers Gesicht fuhr. Julia traute sich nicht, noch näher heranzugehen, obwohl sie die Inschrift gerne gelesen hätte. Sie hatte das Gefühl, in etwas einzudringen, das sie nichts anging. Erst jetzt sah sie die Männer, die in einem mit Glasscheiben abgetrennten Raum rauchten und sie beobachteten. Julia trat ein paar Schritte vom Schrein zurück.
    »Die Trauerfeier war vor zwei Tagen«, sagte die Frau. Sie schien etwas aufzutauen.
    Julia hatte von Simon Brandl, dem Maschinenführer, gelesen. Ein Unfall. Der erste seit Beginn der Bauarbeiten vor anderthalb Jahren. Ein Toter auf zehn Kilometer. Oder 0,1   Tote pro Kilometer Tunnel. Das war wenig im Vergleich zu früher. Beim ersten Eisenbahntunnel in der Region waren es zehn Tote pro Kilometer Tunnel gewesen. Das hatte sie irgendwo gelesen. Sie hasste diese Statistiken. Mit einer Zahl konnte man einem Menschenleben nicht gerecht werden. Trotzdem war es eine Tatsache.
    »Ein guter Junge«, sagte die Frau. Eine Haarsträhne war ihr ins Gesicht gerutscht.
    »Er war unter eine Kabelrolle gekommen, oder?«
    »Das stand in den Zeitungen.« Die Frau strich sich die Strähne hinters Ohr und schwieg.
    »Und?«
    »Wenn Sie ihn gekannt hätten.« Die Strähne fiel ihr wieder ins Gesicht.
    »Was wäre dann?«
    »Keiner war vorsichtiger.« Sie löste ihren Haarknoten, steckte die Spange zwischen die Zähne, schüttelte die schwarzen Haare.
    »Aber das kann doch jedem passieren, man passt kurz mal nicht auf, und dann …«
    »Nicht Simon. Das war etwas anderes.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Das war der Berg.« Sie nahm die Haare zusammen, zwirbelte sie um sich selber und steckte sie mit der Spange wieder hoch.
    Die Frau
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