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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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sich wütend. Das sei bei Weitem nicht das, was heimkehrende Soldaten verdient hätten, sagten sie. So behandle man keine Kriegshelden. Nach allem, was sie für ihr Land, für das Empire getan hätten. Einige sprachen heimlich von Flucht, wollten sich ins Buschland aufmachen. Die Stimmung wurde rebellisch, und es dauerte nicht lange, bis sie alle, alle tausend Männer, durch das Tor zum Hafen von Manly marschierten, wo sie den Dampfer nach Fort Macquarie nahmen. Quinn hatte mit flatternden Wimpeln gerechnet, mit Müttern, Schwestern und Gattinnen, einem zähen Gedränge von Frauen, die ihre Männer, oder was von ihnen noch übrig war, zu Hause willkommen hießen.
    Doch es gab kein solches Trara. Die Soldaten waren ein heruntergekommener Haufen, schlecht beschuht und ziemlich am Ende, tuberkulös, verstümmelt und blind. Viele hinkten an Krücken, mit bandagierten Beinen. Alle trugen die Mullmasken, die verteilt worden waren, um zu verhindern, dass sich die Epidemie ausbreitete. Sie marschierten, so gut es ging, vom Kai durch Sydney zum Cricketfeld, wo sie bessere Unterkünfte erhalten sollten. An der George und der Oxford Street versammelte sich eine Menschenmenge, um sie sich anzusehen. In dem Gedränge mussten die Straßenbahnen anhalten. Jungen stürzten vor, um die Beine der Soldaten zu berühren oder ihnen die Hand zu schütteln. Junge Frauen lächelten nervös und plauderten miteinander. Quinn schob sich mit seinem Tornister an ihnen vorbei, sich der Enttäuschung auf den Gesichtern der älteren Frauen schmerzlich bewusst, die gehofft hatten, er wäre jemand anders, ein Ehemann, Bruder oder Sohn – oder zumindest ein Mann, den sie kannten. Er war froh über die Maske, die sein übel zugerichtetes Kinn verdeckte; so unwahrscheinlich es auch sein mochte, er wollte nicht erkannt werden.
    Quinn konzentrierte sich auf den Boden direkt vor seinen Füßen, bis er es nicht mehr aushielt. Er erinnerte sich an manche der Geschichten, die ihm seine Mutter vorgelesen hatte, und kam zu dem Schluss, dass die Griechen den Göttern hätten dankbar sein müssen, weil diese nach der Plünderung Trojas ihre Heimkehr verhinderten; die Rückkehr aus dem Krieg war jedenfalls schlimmer als der Abschied von zu Hause.
    In der aufgeregten Menge war es leicht, aus der Formation auszuscheren, zwischen den Menschen hindurchzuschlüpfen und in den stillen, schwülen Straßen der Stadt zu verschwinden. Sein Herz bebte in seiner Brust. Sein Magen krampfte sich zusammen. In einer modrigen Gasse in Darlinghurst musste er husten und krümmte sich, die Hände auf die Knie gestützt. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Ein schreckliches Gefühl, das an seinen Eingeweiden zerrte. Er hatte im Krieg einen Gasangriff erlebt, und die heimtückischen Rückstände waberten noch in den Hohlräumen seines Körpers und setzten sich hier und da fest, wenn er schlief oder reglos dalag. Auch wenn es ihn nicht so schlimm erwischt hatte wie viele andere, bestand kein Zweifel, dass das Gas ihm geschadet hatte, besonders seiner Kehle, die ihm manchmal vorkam wie eine Geige mit einer zerfetzten Saite, die nutzlos und lästig herumschlenkerte und sich in den noch fest gespannten und funktionsfähigen Saiten verhedderte.
    Eine orangefarbene Katze beäugte ihn kühl, bevor sie begann, sich die Pfote zu lecken. Quinn dachte an Orangen. Während des ganzen Krieges in Frankreich hatte er sich nach einer gesehnt. Manchmal war er nachts mit staubtrockenen Lippen aufgewacht, nachdem er geträumt hatte, er hätte sich einen Viertelschnitz in den Mund gestopft, wie er es immer als kleiner Junge getan hatte. Oft war er von dem Gedanken besessen gewesen und konnte an keinem Bauernkarren oder Straßenstand vorbeigehen, ohne zu versuchen, eine Orange aufzutreiben. Sie nahmen mythische, magische Ausmaße an, als könnten sie nicht nur seinen Durst löschen, sondern all seine Leiden heilen: sein Heimweh, seine Schuldgefühle, seinen Kummer.
    Vor einigen Monaten hatte er eine Orange im Korb eines Mädchens erblickt, als dieses an einem Lastwagen vorbeiging, in dem er saß. Das Mädchen war nicht älter als zehn gewesen, doch wie alle Kinder in jenen langen Jahren wirkte sie wie jemand, der schon viel älter war. Sie hatte den Korb auf die Hüfte gestützt und blieb stehen, um mit einem alten Weib mit Umhängetuch zu reden, bevor sie ihre Last wieder hochhob und ein tabac betrat. Quinn beobachtete sie aus dem kalten, verrauchten Führerhaus des Lastwagens und wollte ihr gerade folgen
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