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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition)
Autoren: Milada Součková
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übrigen Familien haben würden, die vor der Wahl einer künftigen Schwiegertochter stehen. Giulia kümmerte das nicht, ihr genügte,wenn Anselmo, der Neffe des Ministers, nächtelang unter ihren Fenstern herumstand, und alle übrigen ihr Liebeserklärungen machten, nur dabei vergaßen, um ihre Hand anzuhalten. Das schrieb sie ihrem Bruder zu.
    Wenn Giulia schlechter Laune war, ihr der Vater Geld verweigerte, es ihr nicht gelang, ihrem Partner ein Liebesgeständnis abzuringen (und sie ihn dann auslachen konnte), wenn jemand sagte, ihre verheiratete Schwester sei schöner als sie und sie das zufällig erfuhr, warf sich Giulia in Tränen auf das Sofa und beschwerte sich, ihr Bruder würde ihr die Möglichkeit einer guten Partie vereiteln. Aber wir wissen, wäre sie nicht so liebeshungrig und hätte sie keinen so schlechten Lebenswandel, wäre sie längst mit dem Neffen des Ministers verheiratet.
    Sie ging im neuen französischen Hut gerade schnellen Schritts über die Promenade, empfing und erwiderte Grüße, ging an Ernesto Oliva vorüber, sich im Geiste fragend (das sagte sie aber erst, als sie nach Jahren darüber sprach): »Wer ist dieser schöne Mann?« In Wirklichkeit dachte sie an ihren eigenen Schritt, daran, ob sie überhaupt auf den Gruß des stupiden Massimo antworten solle, daran, was er ihr gesagt habe: »Die Familie gestattet mir nicht, Sie zu heiraten, sie behauptet, Sie hätten einen schlechten Ruf, aber ich liebe Sie.«
    Giulia tröstete sich damit, dass Massimo vollkommen stupid ist und erwog, sich mit Vittorio zu treffen. Später aber wird sie glauben, beim Anblick Ernesto Olivas gedacht zu haben: »Wer ist dieser schöne Mann?«
    Im Schaufenster, an dem Giulia vorüberging, verblasst (obwohl von der Markise beschattet) der Name des Onkels von Giulias ehemaligem Verlobten. Die jungen Männer, diesie grüßen, wissen, in diesem (oder einem anderen ähnlichen) Geschäft werden ihre Eltern die Anzeigen ihrer Verlobungen, ihrer Vermählungen bestellen. Geduldig warten sie, bis ihre Position so bedeutend wird, dass der Drucker sich brüstet, die Anzeigen zu drucken. Übrigens sind sie mit diesem oder jenem Namen, der der Stolz der Buchdruckerkunst ist, von Mutter- oder Vaterseite her verwandt. Neben diesen schönen Druckvorlagen liegen Gebetbücher.
    Ernesto ist über diese Dinge erhaben. Er gibt das aber weder den jungen Damen, noch der Gesellschaft, noch den Priestern gegenüber zu erkennen. Das wäre gegen sein Prinzip. Was liegt daran, was die Frauen lesen? Zur Aufgabe, die Ernesto ihnen im Leben zuerkennt, braucht man keine Romane zu lesen, und falls sie sich den Kopf durch Künstler verwirren lassen wollen, umso schlimmer für sie. Von Künstlern? Die Künstler bleiben Kinder, Jünglinge, sie werden nie zu einem richtigen Mann heranwachsen, was bei Ernesto bedeutet: zu einem Philosophen der Tat, einem Staatsmann. Und Ernesto will ein vollkommener Mann sein.
    Der Kolíner Bürgermeister hörte, Ernesto hätte sich in der Hauptstadt an der Uferpromenade eine luxuriöse Wohnung eingerichtet. »Wir waren alle jung«, der Bürgermeister schaute sich dabei in der Runde seiner Mitschüler um, die Anerkennung seiner Jugendtugenden erwartend. Die Gedanken aller wandten sich jedoch Ernesto zu. Gern hätten sie gewusst, was daran ist, worüber ihre Ehefrauen sprechen und die Töchter ohne ihr Wissen tuscheln: »Ernesto hat eine luxuriöse Wohnung: Arbeitszimmer und Schlafzimmer. Das Schlafzimmer mit einem breiten Himmelbett. Für einen unverheirateten Mann ein solch breites Bett?!«
    Die Damen aus Kolín würde viel dafür geben, könnten sie mit eigenen Augen die vielhundertbändige Bibliothek betrachten. Vermutlich wären sie enttäuscht: es gibt dort fast nur historische und politische Werke und keine Romane. Aber im Nebenzimmer: Stimmt es, dass dort ein breites geschnitztes viersäuliges Himmelbett steht?
    Wie enttäuscht wären die Kolíner Schönheiten, würden sie – wie Ernestos Aufwartefrau – unter dem Kopfteil des prächtigen Renaissancebettes eine Flasche Kognak oder Slibowitz, der nachts die Schlaflosigkeit vertreiben soll, finden. Hätten sie, wie ich, das gesehen, als Bett und Bibliothek verkauft wurden – aber sprechen Sie mit jungen Mädchen über die Zukunft! Sie haben nur den Freund oder die Ehe im Kopf.
    Oh, ihr jungen Damen, so jung, dass ihr euch nicht vorstellen könnt, alt zu werden, Ernesto hat recht, wenn er eure romantischen Vorstellungen auslacht. Euer Traum und die Vorstellungen
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