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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman
Autoren: Eva Voeller
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sondern die Bühne, ihre große, unsterbliche Passion seit ungezählten Jahren. Sie begann, in den Nächten ziellos umherzustreifen, an den Ufern der Seine entlangzuwandern, sich stundenlang im Bois de Boulogne zu verlieren. Sie vergriff sich an Betrunkenen und Bettlern und nahm deren Blut, ohne Rücksicht, ob ihre Opfer danach noch Kraft genug zum Weiterleben hatten. Martin erfuhr davon und setzte sie so lange unter Druck, bis sie schwor, damit aufzuhören.
    Aber dann, irgendwann, fing sie an, sich eigenmächtig eine neue Theatergruppe zusammenzustellen. Das brachte es zwangsläufig mit sich, dass sie Martin betrog, denn eine klassische, komplikationslose Verwandlung war fast nur im Rahmen sexueller Kontakte zu bewerkstelligen, bei welchen Biss und Gegenbiss kaum als Affront verstanden werden können. Sie hatte sich bereits einen Regisseur und einen Intendanten zugelegt und ein neues Kellertheater angemietet, als Martin ihr endlich auf die Schliche kam. Er hatte geglaubt, ihr in ihrer Trauer um ihre zu Tode gekommenen Kollegen nur ein wenig
Zeit lassen zu müssen, bis sie wieder endgültig zu sich käme, doch dann sah er sich eines Tages mit der Tatsache konfrontiert, dass sie längst eifrig an ihrer neuen Karriere bastelte.
    Er raste vor Eifersucht und Wut und überhäufte sie mit Vorwürfen. Zu seiner großen Scham war er allerdings unfähig, sie zu verlassen, sodass sie ungerührt weitermachte. Sie schlief mit einem Starschauspieler und verwandelte ihn. Sie stürzte sich in eine lesbische Liebesbeziehung zu einer bekannten Bühnenbildnerin und verwandelte sie. Sie gab sich einem Kostümschneider von Weltrang hin und verwandelte ihn. Sie war wie besessen davon, der Welt das vollkommene Theater zu präsentieren.
    Natürlich ging es nicht lange gut. Martin wurde melancholisch und traf trotz seiner emotionalen Abhängigkeit Vorbereitungen, sich von Maria zu trennen. Die endgültige Aussprache sollte am Abend ihres Geburtstages stattfinden (ihres hundertfünfzigsten!). Sie hatte für sich und ihre neue Truppe einen Ausflugsdampfer gemietet. Das Schiff war illuminiert, und eine Kapelle spielte auf. Die Gäste plauderten angeregt über die bevorstehende Premiere und bleckten von Zeit zu Zeit die sprießenden Eckzähne, um sich ihrer gegenseitigen Verbundenheit zu versichern, als das Unglück geschah. In einer der Kabinen brach ein Feuer aus und griff mit rasender Geschwindigkeit auf das Oberdeck und den Maschinenraum über. Der Versuch, das Rettungsboot zu Wasser zu lassen, scheiterte kläglich am Versagen der Winde. Die Passagiere an Deck, unter ihnen Martin und Maria sowie ihr neues Theaterensemble, mussten hilflos zusehen, wie sich das Feuer immer weiter ausbreitete und die Holzbohlen der Aufbauten zerfraß. Dichter Qualm vernebelte die Sicht, und schließlich fiel die Beleuchtung aus. Aus der Ferne näherte sich ein Löschboot, doch es war zu weit weg, um die Katastrophe zu verhindern.
    »Wir standen alle an Bord. Das Feuer prasselte und wogte um uns herum, und vor lauter Qualm konnte man nichts mehr sehen. Wir sanken … Das Schiff kippte auf die Seite. Überall Schreie, die Hitze, die Flammen, der Rauch … Ich hielt sie fest, ganz fest … Dann kam das Wasser und entriss sie mir.«
    Er hatte sie verloren. In diesem Inferno aus Feuer und Wasser war sie untergegangen und ertrunken, denn sie konnte nicht schwimmen. Und er hatte sie nicht retten können, weil er sie in all dem Chaos nicht wiederfand. Von den Menschen, die sich an Bord befunden hatten, waren nur wenige gerettet worden, unter ihnen Martin als einziger Vampir. Alle anderen waren ertrunken oder verbrannt.
    Das Feuer war keineswegs zufällig ausgebrochen, sondern das Ergebnis von Brandstiftung. Niemand anderer als der Ehemann der Bühnenbildnerin hatte den Brand gelegt. Er hatte sich an Bord geschlichen, ein Fässchen Petroleum ausgeschüttet und es angezündet. Da man ihn nie wiedersah, ging man davon aus, dass er bei dem Unglück ums Leben gekommen war, eine Folge, mit der er wohl auch selbst gerechnet hatte. In seinem Abschiedsbrief fanden sich geheimnisvolle Andeutungen über die blutrünstigen Machenschaften dunkler Mächte und Blut saugender Wesen der Dunkelheit, die eine Gefahr für die ganze Menschheit darstellten und gemäß alter Überlieferung nur mit Feuer und Wasser bekämpft werden könnten.
    Auch dieses sinnlose Sterben war also letztlich eine Folge unbedachter Verwandlungsaktivitäten gewesen.
    Armer Martin, dachte ich inbrünstig. Er war
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