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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler
Autoren: Britta Konradt
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umgesetzt: Spezialkammern bei den Gerichten, eine bessere Stellung des Privatgutachters, die Mitwirkung von Laienrichtern wird es alles nicht geben.
    Als besonders problematisch empfinde ich, dass der Patient bei geringfügigen Eingriffen auch in Textform aufgeklärt werden kann. Das widerspricht der gesamten Rechtsprechung des Bundesgerichtshof, der bisher erst in einem einzigen Fall bei einer Impfung auf die mündliche Aufklärung verzichtet hat (VI ZR 48/99). Hier wird jetzt die Ausnahme zur Regel gemacht. Es ist eine Abwendung von dem bisher geltenden Grundsatz, dass die Aufklärung grundsätzlich mündlich zu erfolgen hat und die Dokumentation einzig Beweiszwecken dient.

    Die Rechtsprechung wird nun erst einmal definieren müssen, was denn ein »geringfügiger« Eingriff ist. Geringfügig – das heißt ein kleines bisschen, aber ein kleines bisschen von was? Definieren wir einen »kleinen Eingriff« an Hand von der Zeit, die der Arzt dafür benötigt, oder an Hand von Komplikationen, die auftreten können? Oder daran, ob diese selten sind, oder wie schwer sie sein können? Orientieren wir uns an der Fähigkeit des Handelnden, ob der Eingriff für diesen geringfügig ist? Muss bei einer Blutabnahme nun keine mündliche Aufklärung mehr erfolgen, bei einer Spritze in das Gelenk, wie sie x-mal am Tag von dem Orthopäden durchgeführt wird, bei einer Unterspritzung von Hämorrhoiden, bei einer Ausschabung? Wird es ausreichen, dass der Patient an der Rezeption, im Sekretariat, ein Formular unterschreibt?

    Als Arzthaftungsrechtlerin weiß ich, dass auch ein Bagatelleingriff zu Katastrophen führen kann. Es gibt keinen ärztlichen Eingriff, der nicht ganz verheerende Folgen haben könnte. Wer Blut abnimmt, kann eine bleibende Nervenverletzung setzen, die den ganzen Arm des Patienten dauerhaft lähmt und ihn erwerbsunfähig macht. Eine betäubende Spritze beim Zahnarzt kann jahrelang Schmerzen zur Folge haben, nach einer kleinen Hämorrhoiden-Unterspritzung kann sich das Bauchfell massiv entzünden und sogar Mandeloperationen führen, vor allem bei älteren Menschen, manchmal zu Nachblutungen oder zum Tod. Es gibt sie nicht, die harmlosen, ungefährlichen Bagatelleingriffe. Ich finde wichtig, dass man mit dem Einzelnen darüber spricht und mit ihm zusammen klärt, ob für den Patienten der Eingriff so wichtig ist, dass er das Risiko in Kauf nimmt.
    Und die mündliche Aufklärung bietet noch andere Vorteile: Wenn der Arzt den Patienten mündlich aufklärt, kann er individuell auf ihn eingehen. Manche Menschen verstehen besser, was man ihnen sagt, andere informiert man besser schriftlich. Manche wollen genau wissen, was auf sie zukommt, anderen ist das nicht so wichtig. Nur im direkten Gespräch kann der Arzt auf den Einzelnen und seine Eigenheiten eingehen. Er kann auch feststellen, was dieser zum Beispiel beruflich macht und diese Information in das Gespräch miteinbeziehen. Für einen Sportler beispielsweise sind vor allem jene möglichen Komplikationen relevant, die dazu führen können, dass er seinen Sport nicht mehr ausüben kann. Der Arzt kann sagen: »Die Indikation ist nicht so wichtig, Sie müssen sich überlegen, ob Sie das Risiko eingehen wollen.« Er kann auch für jeden eigene Worte finden, Menschen sind intellektuell unterschiedlich, haben einen unterschiedlichen Bildungsgrad. Für manche Menschen muss man ganz einfache Worte finden, um ihnen zu erklären, worum es geht. Aufklärungsbögen berücksichtigen auch das nicht. Da legt die Sprechstundenhilfe der Patientin einen Zettel hin und sagt: »Unterschreiben Sie mal!«

    In dem Gesetzesentwurf, der im Sommer 2012 vorgelegt wurde, hieß es: »Es bedarf einer Aufklärung nicht, wenn erhebliche therapeutische Gründe entgegenstehen.« Aber was sind »erhebliche therapeutische Gründe«? Früher gab es das therapeutische Privileg des Arztes, dem Patienten manche Dinge verschweigen zu dürfen. Das war aber längst abgeschafft. Hier soll es wieder eingeführt werden. Auch wenn der Patient eine eigene Fachkenntnis besitzt, muss der Arzt nicht aufklären. Welche Fachkenntnis ist denn da erforderlich? Reicht für die eigene Fachkenntnis aus, dass der Patient sich vor etlichen Jahren schon einmal einer ähnlichen Therapie unterzogen hat?
    Darf der Arzt bestimmen, ob und was er dem Patienten sagt? Für uns Juristen eröffnen solche Regelungen ein Einfallstor, um fehlende Aufklärung im Nachhinein zu legitimieren. Wenn ein Arzt vertreten wird, der es versäumt
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