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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler
Autoren: Britta Konradt
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hat, seinen Patienten aufzuklären, wird dieser den Patienten als Hypochonder beschreiben. Es wird vor Gericht lang und breit ausgeführt werden, dass der Arzt Sorge hatte, sein Patient könne aus dem Fenster springen und Selbstmord begehen, wenn er die Wahrheit über seinen Gesundheitszustand erführe. Der Arzt wird als Wohltäter dargestellt, der aus Rücksicht auf die Psyche seines Patienten darauf verzichtet hat, ihn aufzuklären – vielleicht, weil er verhindern wollte, dass der Patient womöglich lieber mit den Schmerzen lebt, als sich einer dringend gebotenen Therapie zu unterziehen, die nur einen geringfügigen Eingriff darstellt. Umgekehrt wird der Patient vor Gericht immer steif und fest behaupten, dass er schonungslos hätte aufgeklärt werden müssen. Er wäre ein ganz harter, der immer schon alles wissen wollte. Er kommt im Leben nicht klar, wenn er ein Informationsdefizit hat. Wann und für wen »erhebliche therapeutische Gründe« geltend gemacht werden können, ist Aufgabe der Gerichte.

    Und an noch einem Punkt geht das neue Gesetz über die alten Regelungen hinaus: Wenn ein Anfänger die Operation
gemacht hat, soll grundsätzlich eine Beweislastumkehr folgen. Der Anfänger muss beweisen, dass der Schaden auch entstanden wäre, wenn er kein Anfänger mehr wäre. Er muss also beweisen, dass er keinen Fehler gemacht hat. Das ist bei Komplikationen schwierig, denn es würde bedeuten, dass eine Komplikation regelhaft auftritt. Zudem ist es schwierig zu sagen, wann ein Anfängereingriff vorliegt. Es gibt den formellen Facharztstandard und es gibt den materiellen. Formell ist: Der Mann hat seinen Facharzt für Chirurgie. Materiell ist: Er hat zwar nicht seinen Facharzt, aber er beherrscht die Operation, um die es geht. Seine Fähigkeiten entsprechen denen eines Facharztes. Manche machen sehr zügig ihren Facharzt, andere kriegen ihren Operationskatalog nicht voll und haben im neunten Jahr keinen formellen Facharzt. Man muss dafür eine Prüfung machen, das kostet Zeit und Kraft und manch einer scheut das. Und: Auch ein Facharzt kann bei einer bestimmten Operation ein Anfänger sein und weil er sie noch nie oder noch fast nie gemacht hat.
    Ein Beispiel: Wenn die Bauchschlagader platzt, blutet der Patient wie verrückt und muss sofort operiert werden. Das kommt sehr selten vor, und diese Operation gehört nicht zum Facharztstandard. Auch wenn der Chefarzt, der Oberarzt, der Facharzt die Operation gemacht hat, kann er nach meinem Dafürhalten trotzdem noch ein Anfänger sein. Wie viele dieser Operationen hat er denn schon hinter sich? Ganz wenige oder keine. Und damit kehrt sich die Beweislast um. Was das für den Arztberuf bedeutet, möchte ich mir nicht vorstellen. Ein Anreiz, Arzt zu werden, ist es definitiv nicht.

    An so mancher Stelle war der Entwurf zum Gesetz gut gemeint, aber eben nicht gut gemacht. So soll der Behandelnde verpflichtet sein den Patienten »auf Nachfrage« über erkennbare Behandlungsfehler zu informieren. Wann liegt aber nun ein »erkennbarer« Behandlungsfehler vor? Wenn auf einem Röntgenbild eine Schere nach einer Operation zu erkennen ist, ist das sicherlich ein erkennbarer Fehler, denn die Schere
gehört da nicht hin. Aber ist der Arzt verpflichtet, bei Abweichungen des Ist- vom Sollverlauf eigene Nachforschungen anzustellen? Wann liegt »Erkennbarkeit« vor? Verpflichtet ist der Arzt auf Nachfrage. Also vergessen Sie nicht, ihn bei Ihrem nächsten Besuch zu fragen, ob bei Ihnen ein erkennbarer Behandlungsfehler vorliegt, sonst wird er Ihnen vielleicht verschweigen, dass Sie eine Schere im Bauch haben.

    Exemplarisch habe ich nur einige sachliche Kritikpunkte an dem Gesetzentwurf genannt, die aber zeigen, dass so viel Unsicherheit doch nicht das Ziel sein kann. Die Rechte der Patienten, die durch die jahrelange Rechtsprechung gesichert sind, werden durch dieses Gesetz nicht erweitert. Vielmehr schafft das Patientenrechtegesetz an vielen Stellen Unklarheiten, die durch die Gerichte erst wieder beseitigt werden müssen.
    Die Politik hat versucht, die Rechtsprechung in ein Gesetz zu gießen, ohne dabei die Patientenrechte zu stärken, ohne Transparenz und Vertrauen zu schaffen. Vielmehr zeigt sich, dass man sich engagiert hat, die jahrelange Rechtsprechung zu normieren, ohne dass sich dadurch etwas Wesentliches zum Positiven ändert. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Politik, wie so oft, sich bemüht hat den Patienten in diesem Land, die wir alle potenziell
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