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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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meine Mutter hat sehr an diesen Bildern gehangen, sie sind ein Andenken.‹ Aber Johannes hat nicht lockergelassen. Schließlich hat ihn dein Vater ins Haus gebeten: ›Das müssen Sie mir jetzt aber erklären.‹ Und Johannes hat versucht, ihm klar zu machen, was ihn bewegt. ›Was ich früher gemalt habe, Herr Caspar, ist Dreck, hohler Kitsch, es ist verlogen! Und speziell diese Bilder ... Es gibt kein gutes Ende im ›Taugenichts‹. Ich habe das jetzt erst verstanden! Er wird am Ende genauso ein Spießer sein wie die anderen. Er wird um das tägliche Brot kämpfen, er wird schuften, faule Kompromisse schließen und er wird zu überleben versuchen und dabei alle Ideale verlieren! ›Und es war alles, alles gut‹ heißt es am Schluss – nichts als ein verzweifelter Wunsch ist das oder auch nur böse Ironie. Nichts wird gut werden und der Traum vom richtigen Leben wird ein Traum bleiben. Und deshalb sind meine Bilder falsch! Ich wusste es damals nicht besser, das sei zu meiner Entschuldigung gesagt.‹«
    Anna hat kurz innegehalten und Richard angesehen. »Dein Vater habe lange geschwiegen, schreibt Johannes. Und er habe ihn bestürzt angesehen. Johannes wusste, dass er immer eifersüchtig auf ihn gewesen war, weil der alte Richard Caspar in diesem zerlumpten Jungen aus der Stadtmühle etwas Besonderes gesehen hatte. Später hatte ihre unterschiedliche politische Überzeugung tiefe Gräben zwischen ihnen aufgerissen. Warum sollte ihn Caspar also verstehen und seiner Bitte entsprechen? Aber zu Johannes’ großer Überraschung willigte Caspar ein. ›Einverstanden, aber ich gebe ihnen nicht alle Bilder auf einmal. Ein Bild in jedem Jahr und ich will für jedes Bild einen Korb Heidelbeeren!‹ Johannes ist völlig verblüfft gewesen. Er hat natürlich gefragt, was das sollte. Er wolle ihm Zeit geben, über seinen Entschluss nachzudenken, hat dein Vater gemeint.«
    »So viel psychologisches Feingefühl hätte ich ihm gar nicht zugetraut.« Genau wie sie ist auch Richard ziemlich erstaunt gewesen, als er das erste Mal davon erfuhr.
    »Es ging insgesamt drei Jahre, dann kam die kleine Marie auf die Welt. ›Plötzlich kam mir das Ganze albern vor‹, hat Johannes geschrieben. ›Und beim Anblick der Kleinen wurde mir klar, dass Schönheit und Freude und unsere Träume von Liebe und Glück auch weiterhin ihre Existenzberechtigung haben, trotz der Millionen Toten, deren Schatten auf uns lasten.‹ Und er hat deinen Vater benachrichtigt, dass die restlichen Bilder bei ihm bleiben sollen.«
    Richard hat eine Weile über ihre Worte nachgedacht, sie dann in den Arm genommen und sie fest an sich gedrückt. »Dann haben die Geschichten doch noch ein gutes Ende gefunden.«
    Anna hat ihn lächelnd angesehen: »Was heißt ein Ende gefunden? Sie gehen doch weiter. Das hat Johannes zu Gretl gesagt, als er mich zum ersten Mal auf dem Arm gehalten hat – es geht weiter!«

48
     
    Johannes macht vorsichtig Licht. Neben ihm dreht sich Marie im Bett um und murmelt undeutlich einige Worte. Er schleicht vorsichtig hinüber zum Stuhl und schlüpft in seine Hose. Da ist es wieder – das Klopfen und ein unterdrücktes Rufen. Gretls Stimme! »Johannes, mach auf!«
    Plötzlich weiß er es. Es ist soweit. Er öffnet die Tür. Sie steht vor ihm mit tränenüberströmtem Gesicht. »Er stirbt, Johannes. Der Doktor hat gesagt, dass er die Nacht nicht überleben wird. Er weigert sich ins Krankenhaus zu gehen. Er will dich sehen, will dich unbedingt sehen und mit dir sprechen.«
    Sie hat ihn an den Schultern gepackt, als wolle sie ihn gewaltsam hinüberziehen zur Villa Weckerlin.
    »Gretl, beruhige dich. Ich komme doch mit.«
    In der Villa brennen alle Lichter. Er folgt Gretl die Treppe hinauf, oben steht Lene und drückt ihm stumm die Hand. Der Doktor tritt aus dem Zimmer, er deutet mit einer Kopfbewegung auf Johannes und fragt: »Ist er das?« Als Gretl bejaht, schiebt ihn der Arzt in das Zimmer. »Es ist nichts mehr zu machen. Aber er quält sich so sehr. Er möchte unbedingt noch mit Ihnen sprechen.«
    Vorsichtig tritt Johannes näher. Da liegt er, mit wachsbleichem Gesicht, die einst so dichten und vollen Haare sind dünn geworden, graue Strähnen kleben feucht am Kopf, aber das Gesicht, dessen Konturen schärfer und ausgeprägter hervorzutreten scheinen als früher, dieses Gesicht ist ihm immer noch so vertraut.
    »Johannes«, flüstert Friedrich. Das Sprechen fällt ihm sehr schwer. »Johannes, wie schön, dass du gekommen bist.«
    Johannes
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