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BE (German Edition)

BE (German Edition)

Titel: BE (German Edition)
Autoren: Katja Eichinger
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Alles, was ich über ihr Schicksal erfahre, lässt meine Bewunderung für sie und ihren Überlebenswillen ansteigen. Aber sie ist auch wie eine cholerische Diva … ihre Stimmungen schwanken, und von einer Sekunde zur anderen wird eine absolut angenehme Situation zu einem Schlachtfeld. Da werden plötzlich Beschimpfungen (hauptsächlich gegen Herrn S.), Unterstellungen und Misstrauen ausgeteilt. Das ist z.T. Psychoterror. Es war auch so, dass wir alleine dort waren – ohne Haushaltshilfe und ohne Spülmaschine. D.h. ich habe alle bekocht, den Tisch gedeckt, abgeräumt, abgewaschen etc. Und ich merkte, wie ich anfing mich über Kleinigkeiten und winzige Gesten zu ärgern. Plötzlich wurde – genau wie während NKs Einkerkerung – das Häusliche zum Schauplatz von Aggressionen. Bernd merkte das natürlich sofort. Er ist ja ganz dünnhäutig, und alle seine Antennen waren auf Empfang gestellt. Es war für uns beide schwer, unsere eigenen Aggressionen im Griff zu halten. Das liegt aber vor allem daran, dass es einen extremen Stress bedeutet, sich im Angesicht dieses Verbrechens zu befinden. Sich so unmittelbar mit dieser grausamen Geschichte auseinanderzusetzen – wenn ich ehrlich bin, es überfordert mich. Aber es ist Bernds nächstes Projekt. Mit gehangen, mit gefangen.
  Es war morgens. Ich saß auf dem Sofa und las die Nachrichten im Internet, während ich meinen Kaffee trank. Dort stand etwas von einem österreichischen Mädchen, das nach achteinhalb Jahren Gefangenschaft wieder frei gekommen war. Das klang alles ziemlich wild, und ich schaltete die Fernsehnachrichten ein. In diesem Moment kam Bernd noch etwas verschlafen nach oben. Ich erzählte ihm von dem Entführungsfall, und plötzlich war er hellwach. Wollte alles erfahren. Und rief wenig später in seinem Büro an, er wolle, dass von nun an alle Informationen zu dem Fall gesammelt werden sollten. Ich selbst war ziemlich überrascht von seinem Interesse. Und natürlich wusste ich, dass er an einen Film dachte. Aber ich konnte mir lange Zeit überhaupt nicht vorstellen, wie so ein Film denn aussehen sollte. Ein Mädchen und ein Psychopath im Keller. Achteinhalb Jahre lang. Wo ist denn da die Geschichte? Aber Bernd war sofort Feuer und Flamme.
  Lange Zeit passierte erst einmal gar nichts in Sachen NK. Martin hatte zwar schon kurz nach NKs Selbstbefreiung ein Angebot für die Filmrechte bei NKs Anwälten abgegeben, aber es kam nichts zurück. Bernd ließ alle Press Clippings zum Thema sammeln und sah sich alle TV-Dokus an, aber nichts passierte. Wir hörten von Bestrebungen anderer Filmemacher, an den Stoff zu kommen, und Bernd machte sich Sorgen. Aber bei jeder Nachfrage kam die gleiche Antwort: In Wien nichts Neues. Bis dann auf einmal ein Anruf von Stefan Aust kam. Er kenne einen Fernsehjournalisten, und der sei ganz nah an Natascha Kampusch dran und habe vor, einen Kinofilm mit ihr zu drehen. Dem habe er geraten, sich an Bernd zu wenden. Das war Peter Reichard.
  Innerhalb weniger Wochen war ein Vertrag unterzeichnet.
  Wir haben uns gleich zu Anfang gefragt: Warum will NK eigentlich einen Film über ihr Schicksal drehen? Warum will sie das so vielen Menschen mitteilen? Warum noch einmal all die Wunden aufreißen? Was hat sie davon? Warum schreibt sie nicht einfach nur ein Buch? Klar, da war das Geld, aber Geld – so wurde uns gesagt – interessiere sie ja gar nicht so. Die Frage nach dem »Warum« stellt sich mir bis heute.
  Erst einmal war das Einzige, was wir von NK kennengelernt hatten, ihre kindliche Unterschrift. Wie die der Kindlichen Kaiserin in der »Unendlichen Geschichte« kam sie mir vor. Ansonsten waren da Peter Reichard und die Medienberater, die alles Mögliche und sehr aufgeregt über sie erzählten. Bernd wollte sich unbedingt selbst ein Bild machen.
  Und so begann dann das Kapitel Wien. Es war heiß, die wenigen sonnigen Sommertage von 2010 haben wir alle in Wien verbracht. Ein heißer, stickiger Mückenmoloch. Es gab immer wieder Treffen mit den verschiedenen Beteiligten (aber ohne NK) im Café des Hotels Imperial. Ich war immer dabei und ich hatte ständig das Gefühl, in einem Spionagethriller gelandet zu sein. Das war wie eine Szene aus »Der dritte Mann«: Alles schien einen doppelten Boden zu haben, du konntest nichts und niemandem vertrauen. Und die alte Wiener Angewohnheit war ständig präsent: Sobald jemand vom Tisch aufstand und das Zimmer verließ, zogen die anderen über ihn her. Wahnsinnig anstrengend, all
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