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Bauernjagd

Bauernjagd

Titel: Bauernjagd
Autoren: Stefan Holtkötter
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Dach
verschwanden, das Stroh wurde hell und golden. Sophia stand mit dem Rücken zum
Balken. Sie wurde von den besoffenen und geifernden Bauern eingekreist. Sie
rückten immer näher und lachten ihre Beute höhnisch aus. Sophia, diese schöne
und sanfte Frau, die nicht den Hauch einer Chance gegen sie hatte. Einer musste
den ersten Schritt getan haben. War es Ewald Tönnes? Er packte sie grob an der
Schulter und warf sie zu Boden. Dann stürzte er sich auf sie und begann, ihr
die Kleider vom Leib zu reißen. Die anderen standen dahinter, sie grölten und
stachelten ihn auf. Sophia versuchte sich zu schützen, doch es war zwecklos.
Sie krümmte sich wimmernd am Boden. Der schwere, stinkende Körper von Ewald
Tönnes war nun über ihr. Und die anderen machten sich bereit. Sie würden sie
wieder und wieder vergewaltigen.
    Hambrock schloss die Augen. Die Bilder verschwanden.
    »Ich habe nichts dagegen gemacht«, flüsterte sie.
    »So darfst du nicht denken, Sophia. Du darfst nicht dir die Schuld
geben. Du hast nichts Falsches getan.«
    Aber sie schien ihm gar nicht zuzuhören. Sie streckte den Arm aus
und deutete auf ihre Umgebung.
    »Hier in diesem Raum ist es geschehen. Ich dachte, wenn ich nie
wieder zurückkehre, dann wird es eines Tages nur noch ein böser Traum sein. Die
Erinnerung wird langsam verblassen, und irgendwann ist es dann ganz vergessen.
Aber so war es nicht. Ich habe ihre Gesichter immer noch vor mir. Selbst heute.«
    »Wer war dabei?«
    »Ewald, Heinrich und Ludwig. Es war an einem Sonntag nach dem
Frühschoppen. Die drei waren Saufbrüder, aber das weißt du ja bestimmt schon.
Die Gaststätte wurde mittags immer geschlossen, dann war der Stammtisch vorüber.
An diesem Sonntag wollten sie alleine weitertrinken. Und dabei haben sie mich
entdeckt, wie ich zur Scheune bin.«
    »Clemens Röttger war nicht dabei?«
    Sie zuckte zusammen, und er bereute sofort, gefragt zu haben.
Vielleicht wäre es besser gewesen, sie in ihrem eigenen Tempo erzählen zu
lassen.
    »Nein, er war nicht dabei«, sagte sie. »Trotzdem war das, was er mir
angetan hat, das Schlimmste. Auch wenn es nach außen nicht den Anschein haben
mag. Ein paar Wochen später hat er sich auf dem Nachbarschaftsfest mit mir
unterhalten. Über Annika und darüber, dass sie jetzt ständig auf seinem Hof
herumlungerte. Von allen Kindern hat es sie am meisten getroffen, dass ihr
Vater gestorben war. Sie hat ihn vergöttert. Und sie war noch so klein. Sie
konnte nicht verstehen, was passiert war …« Sie hielt inne. »Clemens hat
angefangen, mich zu bedrängen«, sagte sie dann. »Er hat mich mit seinen klebrigen
Händen begrabscht und mir widerliche Küsse aufgedrückt. Ich habe mich gewehrt,
und schließlich hat er von mir abgelassen. Später hat er sich furchtbar
geschämt für sein Verhalten und sich immer wieder entschuldigt. Trotzdem. Er
hat mir dadurch gezeigt, dass dies hier kein Zufall war. Dass es an mir liegt.
Verstehst du, Bernhard? Ich habe dadurch endgültig verstanden, dass ich die
Schuld trage.«
    Er hätte ihr am liebsten widersprochen, doch er begriff, dass sie
das nicht wollte. Sie war hier, um ihre Beichte abzulegen. Sie wollte keine
Hilfe.
    »Ich wollte sie nicht töten. Das hatte ich nie geplant. Es hat sich
irgendwie so ergeben. Als ich auf dem Schützenfest am Würstchenstand gearbeitet
habe, war uns das Kleingeld ausgegangen. Ich wurde nach Altenberge geschickt,
aber ich war zu spät, die Sparkasse hatte bereits geschlossen. Samstags macht
sie schon um zwölf zu. Auf dem Rückweg ist mir eingefallen, dass Hedwig Tönnes
die Gewinne unseres wöchentlichen Kartenspielens bei sich zu Hause aufbewahrt.
Das sind Berge von Münzgeld, also habe ich gedacht, ich fahre einfach dort
vorbei. Hedwig hätte es mir natürlich übelgenommen, wenn ich in ihrer
Abwesenheit über die Tenne in die Küche gegangen wäre, um das große Sparschwein
zu holen. Aber ich dachte, ich würde ihr das schon erklären können. Zu meiner
Überraschung war Ewald da. Er stand an seiner Güllegrube und sah mich auf den
Hof fahren. Ich wollte ihm kurz die Situation erklären und dann weiterfahren.
Aber als wir an der Grube standen und miteinander sprachen, ist etwas Seltsames
passiert. Er ist an der Betonkante abgerutscht. Kannst du dir das vorstellen?
Ein einziger unbedachter Schritt, und er ist abgerutscht. Einen Moment lang
schwebte er vor mir in der Luft. Er ruderte mit den Armen und sah mich entsetzt
an. Ich hätte ihm nur meinen Arm reichen müssen, aber
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