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Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod

Titel: Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod
Autoren: Bruno Portier
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Feuer angezündet.«

    Die Retter helfen Evan, sich hinzulegen, und heben ihn dann auf die Trage. Sie brechen sofort auf. Evan betrachtet die vorbeiziehende Szenerie: das verunglückte Motorrad, der aufgeschlitzte Rucksack, die überall verteilten Sachen, Tsepels Platz. Keinerlei Spur mehr von Anne. Es bleiben nur verbrannte Fetzen des Schlafsacks, die aus der Glut hervorragen. Den heißen Luftwirbeln entfliehend, steigen die Aschepartikel kreisend in die Höhe, von der Feuerstelle endlich befreit. Der Retter schreit, um sich Gehör zu verschaffen.
    »Alles wird jetzt gut. Machen Sie sich keine Sorgen mehr!«
    Der Krach ist entsetzlich. Evan wurde in der Kabine untergebracht. Der Hubschrauber hebt ab. Der Rauch löst sich auf, macht dem wolkenlosen Himmel Platz.
    »Der alte Mann …«
    Der Inder beugt sich über Evan.
    »Was sagen Sie?«
    Evan hat Mühe zu sprechen.
    »Wo ist der alte Mann?«
    Der Retter richtet sich auf und betrachtet ihn erstaunt.
    »Welcher alte Mann?«
    Evan fehlt die Kraft, um zu antworten. Er wendet die Augen ab. Draußen, umhüllt von den flach einfallenden und goldfarbenen Sonnenstrahlen, funkeln die
verschneiten Gipfel. Im Gegenlicht fliegt der Hubschrauber einen Bogen zwischen zwei Bergspitzen und taucht dann ein in die blendende Helle.

Sterben, wofür?
    Da die Menschen weder Tod noch Elend und
Unwissenheit heilen konnten, sind sie, um sich
glücklich zu machen, auf den Einfall gekom-
men, nicht daran zu denken.
    Blaise Pascal 14 (1623-1662)
     
     
     
    Was für eine Idee, ein Thema wie den Tod zu behandeln! Das verkauft sich nicht. Niemand will davon etwas wissen. Das wird keinen Anklang finden. Das ist doch jedem völlig egal!
    So absurd es auch erscheinen mag, ist der Tod in den meisten unserer »entwickelten« Länder doch ein Tabuthema. Man verschweigt oder vermeidet ihn so lang
wie möglich. Neben schweren Krankheiten oder Unfällen gehört er zu jenen Geschehnissen, bei denen man gerne annimmt, dass sie nur den anderen widerfahren, und außerdem gibt es Dringenderes zu tun.
    Paradoxerweise ist es im Allgemeinen nicht der Tod an sich, der ein Problem darstellt, und auch nicht das, was auf ihn folgt oder nicht. Am erschreckendsten sind die Umstände des Todes sowie die körperlichen und seelischen Leiden, die ihm vorausgehen.
    Diese Ängste werden offenbar noch verstärkt durch die Überzeugung, dass viele Menschen schlecht sterben. Übermäßige medizinische und therapeutische Betreuung, Lebensverlängerung um jeden Preis, Zersplitterung der Familien - all das verursacht weitere Probleme. Außer dem Schmerz, der mit der Krankheit oder dem körperlichen Verfall verbunden ist, leiden die Sterbenden unter Einsamkeit, mangelnder Kommunikation und der Verleugnung ihres bevorstehenden Todes durch das medizinische Personal, die Familienmitglieder und die Gesellschaft insgesamt. Aber warum ist dem so?
    Gequält von unseren Karrieren, in die Enge getrieben durch unsere materiellen Bedürfnisse, stark beansprucht durch unsere häuslichen Sorgen, verbringen wir unser Leben zum größten Teil in Hast und Hektik. Sogar die Rentner sind ständig in Bewegung, widmen sich
zahlreichen neuen Aktivitäten, um der Langeweile des Ruhestands zu entfliehen. Denn sie befürchten, überflüssig zu sein, nicht mehr gebraucht zu werden, wenn sie nicht weiterhin vieles unternehmen und so den näher rückenden Tod verdrängen. Endet dann der Wettlauf plötzlich, fühlen wir uns natürlich verloren: »Sterben? Schon jetzt? Wie ist das möglich?«
    Wäre es unter diesen Bedingungen nicht vernünftig, sich die Frage zu stellen: Sterben wir schlecht, weil wir schlecht leben?
    Das Tibetische Totenbuch beschreibt die große Reise als schwierige Prüfung, aber auch und vor allem als Gelegenheit zur Befreiung - um eine Glückseligkeit zu finden, die man im Laufe seines Lebens vielleicht nicht erlangt hat. Die Leiden und die Ängste, die das Totenbuch zur Sprache bringt, sind im Wesentlichen mit dem Karma verknüpft, also mit den Handlungen, die wir während unseres Lebens begangen oder unterlassen haben, und ihren Einflüssen auf unser Gewissen.
    Sterbebegleiter bestätigen, wie wichtig die letzten Tage und insbesondere die letzten Stunden sind. Kurz vor dem Ende wollen die Sterbenden plötzlich Frieden mit sich selbst, den anderen und der Welt schließen. »Er ist friedlich entschlafen«, sagt man, um sich zu beruhigen. Gewiss, in Frieden zu sterben ist wichtig, aber warum sollte man den Tod nicht gedanklich
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