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Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod

Titel: Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod
Autoren: Bruno Portier
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spricht zu sich selbst, und sie weiß es.
    »Ja, sehr gerne.«
    Anne wirft ihrer Tochter einen verständnisinnigen Blick zu und geht in den Aufzug. Die Tür schließt sich. Die Kabine schwebt den Schacht empor und passiert ein Stockwerk nach dem anderen.

    Quietschend öffnet sich die Aufzugstür. Lucie tritt hinaus, gefolgt von Anne. Ihre Doppelgängerin ist verschwunden.
    Sie befinden sich unter dem Dach, in einem langen schmalen Gang. Lucie geht sicheren Schrittes voran. Sie scheint den Ort zu kennen. Anne folgt ihr, ohne etwas zu sagen. Am Ende des Gangs angekommen, nähert sich Lucie einem Fenster. Regentropfen rinnen langsam über die Scheibe. Anne gesellt sich zu ihr. Zusammen
schauen sie nach draußen. Jenseits der Leere, die den Innenhof überragt, ein sich küssendes Paar in einer Wohnung. Sie ist nackt, er angezogen. Anne beobachtet die beiden fasziniert. Die Frau ist schön, würdevoll, und Anne beneidet sie. Sie ist es, die den Ton angibt. Die Aufzugstür quietscht erneut. Anne dreht sich um. Lucie wartet, bereit zum Aufbruch. Anne hebt den Arm, winkt. Lucie schreitet vorwärts. Die Tür schlägt zu.

    Die Finger dringen unter das Hemd. Der Stoff gleitet über seine Schultern. Die Frau entkleidet den Mann.
    Anne ist bei ihnen, gegen eine Wand gedrückt, hypnotisiert.
    Die Frau stößt den Mann aufs Bett und stürzt auf ihn. Die Körper umschlingen einander, wälzen sich auf dem Laken. Er ist oben, sie liegt unter ihm.
    Anne rührt sich nicht mehr, starr wie eine Statue. Ihr Körper färbt sich blau, und sie lächelt in Erwartung ihres neuen Lebens.
    Er dringt in sie ein. Sie empfängt ihn. Sein Rücken wogt hin und her, die Haut strafft sich, die Muskeln spannen sich an, verkrampfen sich. Sie verfallen in Zuckungen, verzerren die Gesichter.

    Ekstase. Anne strahlt Indigo aus. Ihr Körper, ihre Augen verschmelzen mit dem Blau.

     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Strahlen weißen Lichts durchbohren die azurne Flüssigkeit. Die Sonne durchquert das klare Wasser. Die Oberfläche rückt näher. Ein See kommt zum Vorschein. Am Ufer löschen Pferde ihren Durst.

    Keinerlei Geräusch, keinerlei Ton. In der Finsternis schimmert ein Lichtkreis auf. Nach und nach löst sich ein milchiges Netz winziger Adern von einer durchscheinenden Membran.
    Der Schimmer verstärkt sich und offenbart die feuchten Wände einer jaspisroten Kammer aus Fleisch.
    Ganz hinten, dargeboten in einem hohlen, fleischigen Kelch, ein Tropfen Blut. Seine Form ist vollkommen, seine Oberfläche glänzend und makellos. Er scheint zu warten, ebenso unerschütterlich wie zuversichtlich.
    Am höchsten Punkt durchbohrt eine weißliche Flüssigkeit das durchscheinende Gewebe. Eine Träne bildet sich, bleibt unten an der Membran hängen. Sie wird größer. Bald schon zu schwer, fällt sie, genau senkrecht, herab. Geradlinig, ohne von ihrer Flugbahn abzuweichen, durchquert sie die purpurne Kammer und zerplatzt auf dem Tropfen Blut.
    Die beiden Tropfen explodieren zu zahllosen Perlen, die gegen die Wände geschleudert werden. Dann rollen sie nach unten, vereinigen sich im Kelch und verschmelzen,
wie es das Quecksilber tun würde, um nur noch eins zu sein.
    Plötzlich zieht sich die Kammer zusammen. Ein dumpfes Geräusch hallt wider. Ein Strom hellen und milden Lichts überschwemmt das Innere, weicht wieder zurück, gleich einer besänftigten Welle.
    Abermals zieht sich das Organ mit einem Donnerhall zusammen. Ein zweiter Atemhauch von der Klarheit des Geistes erfüllt das Herz, das nun zu schlagen beginnt.

    Der Rhythmus der Herzschläge vermischt sich mit dem gleichmäßigen Geknatter der Rotoren eines Hubschraubers. Eingehüllt in die Wolke aufgewirbelten Rauchs und Staubs, lehnt Evan sitzend am Stamm der Pinie. Rings um ihn liegen sein Walkman, verbrauchte Batterien, die leeren Beutel mit gefriergetrockneter Nahrung, die umgekippte Feldflasche. Den Oberkörper bis zum Hals bedeckt mit Tsepels Jacke, hält er die Streichholzschachtel fest in den Händen. Auch sie ist leer. Vor ihm, an der Stelle von Annes Leichnam, lodern Flammen zum Himmel. Die letzten der von dem alten Mann gesammelten und dort über den Boden verstreuten Zweige verbrennen.
    Ein behelmter Inder tritt aus der Wolke hervor und fängt an zu schreien.
    »Er ist hier!«
    Der Mann läuft auf Evan zu, gefolgt von einem anderen Retter, der eine Tragbahre bei sich hat.
    »Guten Tag. Ich bin sehr froh, Sie anzutreffen. Wir hatten Mühe, Sie ausfindig zu machen. Zum Glück haben Sie ein
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