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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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genannt, und die Förmlichkeit überraschte mich.
    »Das bin ich.«
    »Wenn Sie so freundlich sein wollen, näher zu treten und mich zu begleiten.«
    Ich folgte ihr durch einen kurzen Flur, der in einen großen, im Zwielicht liegenden kreisrunden Salon mit rotsamten ausgeschlagenen Wänden mündete. Die Decke war eine Kuppel aus buntem Glas, von der ein gläserner Leuchter hing. Darunter stand ein Mahagonitisch mit einem riesigen Grammophon, aus dem eine Opernarie rieselte.
    »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, mein Herr?«
    »Wenn Sie ein Glas Wasser hätten, wäre ich Ihnen dankbar.«
    Die weißhaarige Dame lächelte und sagte liebenswürdig und entspannt: »Vielleicht möchten der Herr lieber ein Glas Champagner oder einen Likör? Oder möglicherweise einen trockenen Sherry?«
    Mein Gaumen hatte bisher nur die Subtilitäten verschiedener Leitungswassergattungen erkundet, sodass ich die Schultern zuckte. »Bitte wählen doch Sie.«
    Die Dame lächelte unerschütterlich, nickte und deutete auf einen der Luxussessel, die wie Tupfer über den Raum verteilt waren.
    »Wenn der Herr bitte Platz nehmen möchte, Chloé wird sogleich kommen.«
    Ich hätte mich fast verschluckt.
    »Chloé?«
    Sie bemerkte meine Bestürzung nicht und verschwand durch eine Tür, die sich hinter einem schwarzen Perlenvorhang andeutete. Ich war mit meiner Nervosität und meinen unaussprechlichen Sehnsüchten allein und ging im Salon auf und ab, um des Zitterns Herr zu werden, das sich meiner zunehmend bemächtigte. Abgesehen von der leisen Musik und dem Pochen meiner Schläfen war es hier still wie im Grab. Von dem Salon gingen, jeder von einem blauen Vorhang gesäumt, sechs Korridore aus und führten je zu einer geschlossenen weißen Flügeltür. Ich ließ mich in einen der Sessel fallen, die wie geschaffen schienen, die Hinterteile von Prinzregenten und zu Staatsstreichen neigenden Generalissimi zu wiegen. Kurz darauf kam die weißhaarige Dame mit einem Glas Champagner auf silbernem Tablett zurück. Ich nahm es entgegen und sah sie durch dieselbe Tür wieder entschwinden. Ich leerte das Glas in einem Zug und lockerte den Hemdkragen. Allmählich kam mir erneut der Verdacht, all das sei nichts weiter als ein von Vidal ausgeheckter Scherz. In diesem Augenblick sah ich eine Gestalt aus einem der Korridore auf mich zukommen. Sie sah aus wie ein kleines Mädchen und war es auch. Sie ging mit gesenktem Kopf, sodass mir ihre Augen verborgen blieben. Ich stand auf.
    Das Mädchen machte einen höflichen Knicks und bedeutete mir, ihr zu folgen. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie eine künstliche Hand hatte wie eine Schaufensterpuppe. Sie führte mich ans Ende des Korridors, öffnete mit einem Schlüssel, den sie um den Hals hängen hatte, die Tür und ließ mich hinein. Das Zimmer war nur schwach erleuchtet. Ich tat ein paar Schritte, um etwas zu erkennen. Da fiel die Tür hinter mir zu, und als ich mich umwandte, war das Mädchen verschwunden. Ich hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte – ich war eingesperrt. Fast eine Minute blieb ich reglos stehen. Nach und nach gewöhnten sich meine Augen an das Halbdunkel, und die Umrisse um mich herum nahmen Gestalt an. Die Wände des Zimmers waren vom Boden bis zur Decke mit schwarzem Tuch bespannt. Auf der einen Seite erahnte ich eine Reihe seltsamer Artefakte, wie ich sie noch nie gesehen hatte, und ich wusste nicht, ob ich sie unheilvoll oder verführerisch finden sollte. Über dem Kopfende eines großen runden Bettes hing eine Art riesiges Spinnennetz mit zwei Kerzenhaltern, in denen schwarze Altarkerzen flackerten und den Wachsgeruch von Kapellen und Totenwachen verströmten. An der einen Seite des Bettes befand sich ein Gitter mit Schlangenmuster. Ein Schauer überlief mich. Alles war genauso wie in dem Schlafzimmer, das ich in den Geheimnissen von Barcelona für die Abenteuer meiner unbeschreiblichen Vampirin Chloé entworfen hatte. Irgendetwas stimmte nicht. Schon wollte ich die Tür aufbrechen, als ich bemerkte, dass ich nicht allein war. Ich erstarrte. Hinter dem Gitterwerk zeichnete sich eine Gestalt ab. Zwei glänzende Augen musterten mich, und ich sah weiße, zarte Finger mit schwarz lackierten Nägeln durch das Gitter greifen. Ich schluckte. »Chloé«, flüsterte ich.
    Sie war es. Meine Chloé. Die opernhafte, unübertreffliche Femme fatale meiner Erzählungen, dieses Wesen aus Fleisch und Dessous. Ihre Haut war blasser, als ich sie mir je vorgestellt hatte, und das schwarz
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