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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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bevölkern lässt. Kinderchen, die deinen Namen tragen und die Augen ihrer Mutter haben, dieses heiligen Ausbundes an Tugend und Züchtigkeit, an deren Hand du unter dem wohlwollenden Blick des Jesuskindes in den Himmel eintreten wirst.«
    »Das wollte ich damit nicht sagen.«
    »Da bin ich aber froh, denn es ist möglich – und ich betone: möglich –, dass dieser Augenblick nie kommt, dass du dich nicht verliebst, dass du dich niemandem fürs ganze Leben hingeben willst oder kannst und dass du eines Tages wie ich mit fünfundvierzig merkst, dass du nicht mehr jung bist und es für dich keinen Chor von Cupidos mit Lyren und keinen Teppich aus weißen Rosen vor dem Altar mehr geben wird und dass die einzige Rache, die dir noch bleibt, darin besteht, dem Leben die Wollust des straffen, glühenden Fleisches zu entreißen, eine Lust, die schneller verfliegt als die guten Vorsätze und in dieser schweinischen Welt, in der von der Schönheit bis zur Erinnerung alles verfault, als Einziges dem Himmel nahekommt.«
    Zum Zeichen schweigenden Beifalls ließ ich eine feierliche Pause folgen. Vidal war ein begeisterter Opernfreund und hatte sich mit der Zeit Tempi und Deklamation der großen Arien anverwandelt. In der Familienloge des Liceo ließ er kein Stelldichein mit Puccini aus. Ab gesehen von den Unglücklichen, die sich im Olymp zusammendrängten, war er einer der wenigen, welche sich dort überhaupt die Musik anhörten, die er so sehr liebte und die seine Abhandlungen über Gott und die Welt hervorsprudeln ließ, mit denen er meine Ohren manchmal, wie an diesem Tag, beschenkte.
    »Und?«, fragte er herausfordernd.
    »Dieser letzte Teil kommt mir bekannt vor.«
    Ich hatte ihn ertappt. Er nickte seufzend.
    »Er ist aus Mord im Club Liceo «, gab er zu. »Die Schlussszene, wo Miranda LaFleur auf den ruchlosen Marquis feuert, der ihr das Herz gebrochen hat, weil er sie während einer leidenschaftlichen Nacht in der Hochzeitssuite des Hotels Colon in den Armen der Zarenspionin Swetlana Iwanowa verraten hat.«
    »Dacht ich’s mir doch. Sie hätten nicht besser wählen können. Das ist Ihr Glanzstück, Don Pedro.«
    Vidal lächelte mir für das Lob zu und schien abzuwägen, ob er sich noch eine Zigarette anzünden sollte.
    »Was nicht heißt, dass in alledem nicht ein Körnchen Wahrheit steckt«, schloss er.
    Er setzte sich aufs Fensterbrett, nachdem er ein Taschentuch hingelegt hatte, um seine hochelegante Hose nicht zu beschmutzen. Ich sah den unten an der Ecke zur Calle Princesa geparkten Hispano-Suiza. Der Fahrer, Manuel Sagnier, brachte mit einem Lappen die Verchromungen auf Hochglanz, als handle es sich um eine Skulptur von Rodin. Manuel hatte mich immer an meinen Vater erinnert, zwei Männer derselben Generation, die zu viele Tage im Unglück verbracht hatten und denen die Erinnerung ins Gesicht geschrieben stand. Von einigen Angestellten der Villa Helius hatte ich gehört, dass Manuel Sagnier lange im Gefängnis gesessen und nach seiner Entlassung über Jahre hinweg gedarbt hatte, da ihm keine andere Arbeit angeboten wurde als die eines Stauers, der auf den Molen Säcke und Kisten löschte, eine Tätigkeit, für die er nicht mehr das Alter und die Gesundheit hatte. Der Legende nach hatte Manuel Vidal einmal unter Einsatz des eigenen Lebens davor bewahrt, unter den Rädern einer Straßenbahn zu Tode zu kommen. Als er von Manuels verzweifelter Lage erfuhr, bot ihm Pedro Vidal aus Dankbarkeit an, mit Frau und Tochter in die kleine Wohnung über den Garagen der Villa Helius zu ziehen. Er versicherte ihm, die kleine Cristina würde von denselben Lehrern instruiert werden, die täglich ins väterliche Haus in der Avenida Pearson kamen, um den Kindern der Vidal-Dynastie Unterricht zu erteilen, und seine Frau könnte ihren Beruf als Schneiderin im Dienst der Familie ausüben. Er trage sich mit dem Gedanken, eines der ersten Automobile zu kaufen, die in Barcelona in den Handel kämen, und wenn Manuel sich in der Kunst des Autofahrens ausbilden und Karren und Kremser Vergangenheit sein lassen wolle, werde er ihn als Fahrer beschäftigen – damals ließen die jungen Herren die Finger von Verbrennungsmotoren und Maschinen mit Gasaustritt. Natürlich nahm Manuel an. Seit er aus seinem Elend errettet worden war, so lautete die offizielle Version, waren er und seine Familie Vidal, dem ewigen Paladin der Enterbten, blind ergeben. Ich wusste nicht, ob ich diese Geschichte tatsächlich glauben oder sie den unzähligen Legenden um den
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