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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition)
Autoren: Esther Kinsky
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und ihren Duft verströmten, und er baute eine Bank, auf der sie an Sommerabenden zu zweit sitzen konnten. Dort erzählte er ihr seine Geschichten. Eine Hand lag oft auf ihrem Knie, mit der anderen beschrieb er weiterhin seine Bilder in die laue Sommerluft. Das Mädchen schaute versonnen in die Ferne, wo es vielleicht all die Dinge sich wirklich ereignen und abspielen sah, von denen der Kurze ihr erzählte. Manchmal wollte der Kurze ihre Aufmerksamkeit besonders fesseln, dann stand er auf und spielte ihr eine Geschichte vor. Er verrenkte dabei den Körper auf alle erdenklichen Weisen, sprach und sang und jaulte in den verschiedensten Stimmen und Tonlagen, während das Mädchen unverwandt, manchmal allerdings auch mit einem traurigen Ausdruck auf dem Gesicht, an ihm vorüberblickte. Selbst wenn der Kurze alles sehr bunt und lebhaft und mit vielen Ausschmückungen darbot, waren die Geschichten beileibe nicht alle lustig. Die Blumen waren jetzt so hoch, dass man im Vorbeigehen nur die Gesichter der beiden zwischen den Blüten sehen konnte, und wenn es dunkel wurde, hingen die Gesichter wie zwei weiße große Flecken umrahmt von den Blumen in der Finsternis, als wären sie selbst zwei Riesenblüten einer ansonsten unsichtbaren Pflanze.
    So verging der Sommer. Das ist die Liebe, sagte man zueinander, und jeder wusste, dass der Kurze und das Mädchen gemeint waren. Manchmal kamen die beiden abends ins Wirtshaus und tanzten. Sie hatten nur Augen füreinander, und ein leerer Ring der Achtung bildete sich um sie, wenn alle anderen einen Schritt zurücktraten, um ihnen beim Tanzen nur ja nicht ein Hindernis zu sein. Der Kurze hatte das Mädchen alle möglichen Tänze gelehrt, wie man sie angeblich jenseits der Ebene tanzt, und er bestellte Musik dazu beim Akkordeonspieler. Dazu stellte er sich vor diesen und summte ihm mit geschlossenen Augen und gerade herabbaumelnden Armen die Melodie vor, zu der er tanzen wollte. Das sah komisch aus, aber niemand lachte, denn die Musik, die der Akkordeonspieler dann anstimmte, war schön und bewegend. Einmal hob der Kurze nach einer Melodie die Hand und sagte in das entstandene Schweigen: Ein Hoch auf den Akkordeonspieler, denn er versteht etwas von der Liebe! Alle klatschten und lobten den Akkordeonspieler, obwohl sie die Meinung des Kurzen entweder nicht teilten oder nicht verstanden.
    Es wurde Herbst, und von ferne schlich sich eine Bitterkeit ein, die fast jeder spürte, ohne dass man sagen konnte, worin sie wirklich bestand. Man suchte allerhand Worte dafür, die etwas anderes besagen sollten als dieses Bittere, aber nichts traf zu. Eines Morgens warf der Kurze die Tür des kleinen Hauses hinter sich zu und ging fort. Das Mädchen blieb zurück und stand nun meistens in der Tür. Es regnete viel, und ihr Blick konnte nicht weit schweifen. Sie kämmte sich die Haare immer noch sehr oft, aber weil die Luft so schwer von der Nässe war, stand ihr das Kränzchen widerspenstiger Haare nicht mehr um den Kopf. Es wurde kühler, und unter dem Kleid trug sie Wollstrümpfe, in denen ihre Beine sehr schwer aussahen. Viele Männer machten den Weg an ihrem Haus vorbei und riefen ihr etwas zu, aber sie gab keine Antwort. Eines Tages hörte der Regen auf, und der Winter lag in der Luft. Morgens waren die Gräser, äste und Dächer weiß vom Raureif. An einem solchen Morgen kam ein Auto und hielt am Haus des Mädchens, das in der Tür stand. Ein junger Mann saß darin, der rief ihr zu: Steig ein! Das Mädchen zögerte, aber der Mann rief, Komm, wir fahren ans Meer! Diese Worte müssen es gewesen sein, die das Mädchen bewogen, die Haustür hinter sich zu schließen und in den hellblauen Wagen zu steigen. So verschwand sie. Nach einiger Zeit kamen Gerüchte auf, es hieß, sie treffe in einem Nachbarort Vorbereitungen für ihre Hochzeit. In diesem Winter schneite es viel. Als der Schnee geschmolzen war, fand die Hochzeit wirklich statt. Das Mädchen trug ein weißes Kleid, das um Schultern und Brust ein wenig eng war. Das Kleid war so lang, dass man von ihren Beinen nichts sah. Auf ihrem Kopf saß ein Schleier. Eine Musikkapelle spielte, und es wurde getanzt. Angeblich ging es hoch her. Die Männer johlten und pfiffen, und die Frauen lachten laut und lustig. Jemand erzählte, das Mädchen habe einen kurzen Fluchtversuch unternommen, doch in ihrem weißen Kleid fiel sie bald auf, und man brachte sie zurück. Mancher mag sich vorgestellt haben, wie sie als ein huschender weißer Fleck durch die
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