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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition)
Autoren: Esther Kinsky
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verbogenen Schild nach Timisoara. Sie waren in ewigem Aufbruch, klapprige Dacias hielten an der Ecke und forderten den einen oder anderen auf, einzusteigen, nach Hause zu kommen, in den Schoß einer wartenden Familie, es gab kurze Verhandlungen, Wortwechsel, Abschiedsgebärden, die dann aber doch immer nur den Abholern galten, auch wenn der eine oder andere schon aufgestanden, schon halb auf dem Weg zum Auto gewesen war, seine abgegriffene Plastiktüte in der Hand, er kehrte doch wieder zu seinen Gefährten zurück, setzte sich hin, seufzend, wie heimgekehrt aus einer Gefahr oder von einer Reise, stellte die Plastiktüte unter die Bank und zündete sich eine Zigarette an. Die drei alten Männer saßen jeden Tag unter dem Schild, im Kommen und Gehen, während die Zigeunerjungen mit einem roten Fußball spielten und selbsterdachten Regeln folgend auf ihren Plätzen still verharrten, wenn die Straßenbahn kam und ihr Spielfeld durchschnitt.
    Ich folgte Eva durch die unebenen Gassen zum Fluss. Die schweren hohen Holztore standen offen, Höfe lagen im Halbschatten, Katzen schlichen, Hunde dösten, Wäsche hing auf schiefen Leinen, Kinder schossen mit Wasserpistolen, drückten sich ins Dunkel der Eingänge, Frauen und Männer zankten, lachten, feilschten um Freuden, jeder Hof ein kleines Theater, aus dem die Schauspieler den Zuschauer gleichgültig oder mit herablassendem Misstrauen zur Kenntnis nahmen.
    Hier war früher das serbische Viertel, sagte Eva. Aber die Serben sind schon lange fort. Das war die einfache Welt. Um unsere Synagoge war das jüdische Viertel, um die serbische Kirche das serbische Viertel. Und drüben wohnten die Deutschen. Sie nickte die Straße hinab, wo die Hochwassermauer am Mures schon sichtbar war und die verschwimmenden Spitzen der Weidenbäume auf der anderen Seite des Flusses.
    Mein Serbennachbar Todor hatte seine Geschichten von den klirrenden Wintern erzählt, wenn er auf dem Schlitten des Vaters zu den serbischen Weihnachten nach Arad fuhr, wo seine Familie mit Würsten und Schnaps wartete, der Geruch des Schweinsbluts hing noch in der kalten Luft der Höfe, wenn die fernen Gäste angeglitten kamen, über die blendende Ebene, wo die Sonne hinter den blauen Bergschatten aufging, sich die Hunde am Westrand von Arad aus dem Morgendunst zwischen den halbdörflichen Hütten und den stolzen Fabriken lösten und nach den Schlittenkufen schnappten.
    Im Hof der aufgelassenen Zuckerfabrik tobten Hunde an den rostigen blauen Toren und fletschten die Zähne. Grollend warfen sie sich gegen die vibrierenden Gitter. Der Hof lag so verlassen zwischen dem etwas schiefen Schornstein und den verschlossenen Toren der Gebäude, blau und bräunlich rot, zwischen dem rissigen bröckelnden Putz, Ochsenblutrot und Habsburgergelb und das stumpfe helle Blau des Ostens, die Nacktheit der verwitternden Ziegel. Unkraut zwischen den Pflastersteinen und einem schmalen Schienenstrang, madenweiße Knochen für die rasenden Hunde. Männer in Arbeitskleidung kamen an, schlossen das Tor auf und wieder zu, verscheuchten die Hunde mit Fußtritten und verschwanden hinter dem Schornstein in einer schmalen Gasse zwischen zwei Hallen.
    Am Fluss war es still. Das Wasser floss tief, langsam, sommergrün. Die Pappeln raschelten.
    Neulich traf ich eine Frau, die vorgab, ich zu sein, sagte Eva. Sie sprach mich an der Ecke meiner Straße an. Sie hatte einen großen schwarzen Hund an der Leine, genau wie ich. Wie heißen Sie?, fragte sie ganz unvermittelt. Eva Florescu, sagte ich, und die Frau sagte: Ich auch. Was arbeiten Sie? Sie fragte immer weiter, und bei jeder Antwort, die ich gab, erwiderte sie: Ich auch. Schließlich wandte sie sich zum Gehen und machte sich mit ihrem großen Hund auf zum Fluss. Seitdem sehe ich jeden Tag in den Spiegel und frage mich, ob ich so aussehe, wie diese Frau.
    Ein Mädchen in einem roten Kleid radelte an uns vorbei und verschwand zwischen den Pappeln. Am Wegrand saß eine alte Frau auf einem Schemel im hellstaubigen Schatten eines Nebengebäudes der Fabrik. Sie weidete ihre Ziege an den Straßenrändern des serbischen Viertels, trug ihren kleinen Schemel bei sich und ließ sich darauf nieder, wo die Ziege bleiben wollte. Die Ziege stand auf der Treppe zu einer Tür. Die alte Frau winkte, als seien wir alte Bekannte. Meine Ziege heißt Blume, rief sie uns zu.
    Die Ziege blickte verdrossen von dem Treppenpodest.
    Früher war hier die Sporthalle der Universität, sagt Eva. Keiner wusste, warum sie auf dem
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