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Ballsaison: Palinskis siebter Fall

Ballsaison: Palinskis siebter Fall

Titel: Ballsaison: Palinskis siebter Fall
Autoren: Pierre Emme
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worden. Ministerialrat Schneckenburger war Vertreter des Innenministers im Koordinationskomitee der für die speziellen Sicherheitsmaßnahmen verantwortlichen österreichischen Behörden, wie die offizielle Bezeichnung lautete. Und er war überzeugt von Palinskis Theorie, dass sich die realen und die fiktiven Verbrechen in einem ständigen Prozess gegenseitigen Befruchtens befanden. Auf gut Deutsch, die Bösen ließen sich von den Autoren beeinflussen und diese wieder von Gerichtsreportagen, Strafprozessakten und Sensationsberichten. Und so ging das seit der Erfindung des Buchdrucks, die dadurch ausgelöste Spirale ging deutlich nach oben. Besonders gebildete Menschen nannten das auch Interdependenz.
    Nach Abschluss der umfangreichen Vorarbeiten hatten 22 freie Mitarbeiterinnen, teils Studierende, teils arbeitslose Absolventinnen der Germanistik, Anglistik und Romanistik von September bis März mehr als 1.100 in den vergangenen 15 Jahren erschienene Krimis und Thriller mit den Schwerpunkten Terrorismus und Verschwörungstheorien gelesen und nach bestimmten Kriterien analysiert. An der Vorauswahl unter nahezu 900 infrage kommenden englischsprachigen Titeln war Palinskis amerikanisches Pendant – der in der Nähe von Baltimore beheimatete Will Scott – maßgeblich beteiligt gewesen. Dessen Datenbank ›Crimes United‹ war bis dahin etwas umfangreicher gewesen als die des ›Instituts für Krimiliteranalogie‹. Nach Abschluss der aktuellen Datenerfassung und -verarbeitung hatte sich das aber ganz eindeutig geändert.
    Natürlich hatte Palinski auftragsrelevante Teilergebnisse sofort an das ›KoKo‹ (Koordinationskomitee) weitergeleitet und den Behörden damit ermöglicht, diese sofort zu berücksichtigen, an die jeweiligen Schweizer, österreichischen und internationalen Stellen weiterzuleiten oder wieder zu verwerfen. Angeblich sollten sich dabei tatsächlich einige Aspekte ergeben haben, die bisher noch nicht oder nur unzulänglich berücksichtigt worden waren.
    Als finalen Höhepunkt hatte Palinski gestern schließlich die Studie im Innenministerium präsentiert und viel Lob dafür erhalten. Immerhin hatten auch die penibel nach den unterschiedlichsten Parametern erstellten Statistiken einige potenzielle Schwachstellen aufgezeigt, mit denen, da sie ausschließlich aus der Literatur abgeleitet worden waren, nur wenige gerechnet hatten. Natürlich hatten sich auch wieder die Skeptiker vom Dienst zu Wort gemeldet, die den Wert der Studie sowohl im Prinzip als auch im Detail anzweifelten. Diese Leute hatten bereits bei früheren Gelegenheiten kaum ein gutes Haar an Palinskis Arbeit gelassen. Nun ja, er hatte gelernt, mit diesen Typen zu leben. Die gehörten eben auch zu dem breiten Meinungsspektrum dazu.
    Die letzten Wochen vor der Präsentation waren sehr hart gewesen, die Arbeitstage hatten mitunter bis zu 20 Stunden gedauert. Aber jetzt war das alles vorüber, die Ernte eingefahren. Und Palinski war zufrieden, sehr, sehr zufrieden. Und hundemüde, wirklich …
    Nach dem kurzen Nickerchen brachte er die inzwischen zu Boden geglittene Tageszeitung wieder in Augenhöhe und setzte das unterbrochene Studium des Berichts über die Pressekonferenz nach Präsentation der Studie fort.
    Seit gestern hatte Palinski den Eindruck, dass mehrere Medienvertreter den Ergebnissen seiner Studie mit Skepsis, nein, was schlimmer war, mit einem gewissen Unernst gegenüberstanden. Zugegebenermaßen machten es die manchmal wirklich etwas kühnen, an den Haaren herbeigezogen wirkenden Schlussfolgerungen der Autoren, mit welchen sie literarische Verbrechen in realistische Bedrohungsszenarien verwandelt hatten, Menschen ohne entsprechendes Vorstellungsvermögen schwer, ihnen zu folgen. Der ironisierende Ton und die mitunter leicht ins Lächerliche verzerrte Tendenz des vorliegenden Artikels waren ein neuerlicher Beweis dafür. Als ob die Möglichkeit eines terroristischen Angriffs auf eine Millionenstadt über ihre Trinkwasserversorgung oder aus dem Kanalsystem heraus unvorstellbar und daher absurd wäre.
    Was den meisten dieser Schreiberlinge fehlte, war schlicht und einfach die zielorientierte Fantasie ergebnis- und erfolgsorientierter Autoren. Oder auch Verbrecher, schoss es Palinski durch den Kopf. Und die Schlussfolgerung gefiel ihm nicht, überhaupt nicht.
    Aber egal, darüber musste er später noch nachdenken. Zurück zur Fantasie: Die konnte, zusammen mit geballter krimineller Energie sowie entsprechenden, noch so irren Motiven
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