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Ballast oder Eva lernt fliegen

Ballast oder Eva lernt fliegen

Titel: Ballast oder Eva lernt fliegen
Autoren: Mona Jeuk
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versorgen hatte. Es ist ja so einfach, hatte Eva gegrollt, einen Mann um den kleinen Finger zu wickeln, solange man nicht nebenher noch einen Kinderpopo sauber halten muss.
    Trotzig hatte Eva beschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen und die Rolle der alleinerziehenden Mutter mit Bravour zu meistern. Sie hatte ihren Mädchennamen wieder angenommen, war in eine billige Dreizimmerwohnung gezogen und hatte fortan nur noch für ihren Sohn gelebt. Schon in der Grundschule waren die Lehrer blass geworden, wenn sie Eva das Gebäude stürmen sahen. Eva hatte allen ihr bekannten Elternvertretungsgremien angehört, sich im ‚Verein zur Stärkung unserer Jugend gegen die Gefahren unserer Zeit‘ engagiert und auf jedem Schulfest mit ihrem strahlenden Auftritt alle Anwesenden in den Schatten gestellt. Nebenbei hatte sie weiterhin Problemzonengymnastik betrieben und war die bestgekleidete und bestgeschminkte Frau weit und breit, alles für ihren Sohn, wohlgemerkt. Er sollte stolz sein können auf seine Mutter.
    Übrigens war Eva Idengart schon damals nicht etwa nur Hausfrau und Mutter gewesen. Sie hatte halbtags als Empfangsdame am Hauptsitz der Geprahl AG gearbeitet, wo sie mit der unerschütterlichen Freundlichkeit einer Nonne alle männlichen Annäherungsversuche zurückgewiesen hatte, von denen es viele gegeben hatte, und sie hatte sich in dem Bewusstsein gesonnt, eine gute Mutter, eine schöne Frau und eine hervorragende Angestellte zu sein.

    Wenige Wochen nach Evas fünfunddreißigstem Geburtstag hatte Christian zu seiner Konfirmation von seinem Vater eine Australienreise geschenkt bekommen. Eva hatte die Nüstern gebläht und mit den Hufen gescharrt, doch war sie als gute Mutter überzeugt davon, dass sie ihrem Sohn sein Glück gönnen musste. Sie hatte sich vergewissert, dass allein reisende Jugendliche vom Flugbegleitpersonal gut betreut wurden, und ihren Sohn ziehen lassen, überzeugt davon, dass er ihren Beteuerungen Glauben schenkte, sie freue sich unbändig für ihn. Sie hatte keine Ahnung, wie sehr der Junge darunter litt, seiner Mutter dies anzutun.
    Nach jener Reise hatte Christian erklärt, dass er nach der zehnten Klasse die Schule verlassen werde. Sein Vater habe ihm versprochen, dass er ihm in der deutschen Niederlassung seiner Firma einen attraktiven Ausbildungsplatz verschaffen könne. Evas Lächeln war bedenklich in Schieflage geraten, doch der Wunsch, die Schule aufzugeben, war nicht neu gewesen, und so war ihr nichts anderes übrig geblieben, als ihrem Sohn wie immer beizustehen. Gleichzeitig hatte sie dem Drängen ihres Vorgesetzten nachgegeben und ihre Arbeitszeit bei der Geprahl erhöht. Auf die Annäherungsversuche gut situierter Männer hatte sie mit etwas mehr Wärme reagiert, und einigen war es gar gelungen, sie zu einer Tasse Kaffee in die Kantine auszuführen.

    Um seiner Mutter und möglicherweise auch sich selbst zu beweisen, dass seine Berufswahl nur in zweiter Linie etwas mit seinem Vater zu tun hatte, hatte Christian sich während seiner Ausbildung die größte Mühe gegeben. Bald schon hatte er Lob und Anerkennung geerntet, und man hatte ihm im Anschluss an seine Lehrzeit einen längeren Aufenthalt in Australien angeboten. Eva hatte demonstrativ gestrahlt und es überall herumerzählt, um ihrem Sohn zu zeigen, dass sie ihm selbst dies noch gönnte. Ihre Großzügigkeit hatte indes nur seine Schuldgefühle gestärkt, denn Christian hatte sehr wohl gewusst, wie sehr seine Mutter seinen Vater verabscheute. Dass er sich, zu allem Überfluss, auch noch auf ein Wiedersehen mit seiner Stiefmutter und seinen kleinen Halbgeschwistern freute, hatte Öl ins Feuer seiner Gewissensqualen gegossen, und in all seiner Not hatte der Junge gar nicht bemerkt, wie seine Mutter ihr Verhalten den Männern gegenüber veränderte, die sie wie Trabanten umkreist hatten seit Christian denken konnte.
    Bis zu jenem Augenblick, da der nun Neunzehnjährige seine Heimat zum zweiten Mal und nun auf lange Zeit hinter sich ließ, war seine Mutter nicht ein einziges Mal mit einem Mann ausgegangen. Der arme Junge hatte keine Ahnung, was sie nun anstellen wollte, so ohne ihn. Im Flugzeug machte er sich die bittersten Vorwürfe seiner undankbaren Fahnenflucht wegen, und doch atmete er auf, als die Boing endlich abhob und er sich der erdrückenden Zweisamkeit glücklich entronnen wusste.

    Wir aber bleiben auf dem Boden, bei Eva. Für die nächsten Monate sind ihr Leben und ihr Spiegelschränkchen noch in Sicherheit, doch
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