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Ballast oder Eva lernt fliegen

Ballast oder Eva lernt fliegen

Titel: Ballast oder Eva lernt fliegen
Autoren: Mona Jeuk
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ließ Eva sich zitternd auf dem Badewannenrand nieder und starrte dumpf auf den verwüsteten Boden. Ihr letztes bisschen Verstand wurde von den aufsteigenden Parfümnebeln betäubt. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie in fünfundfünfzig Minuten vierzig Jahre alt wurde. Es war an der Zeit für einen Entschluss. Für einen Befreiungsschlag. Befreiung von Ärschen, die sich etwas auf ihre lächerlichen Pimmel einbildeten. Befreiung von Sklaverei und Beauty-Wahn. Ein Müllsack musste her.

    Der Flur ihrer Dreizimmerwohnung hatte sich in eine verblüffend lange Slalombahn verwandelt. Eva verpasste eine Kurve und nahm verschwommen wahr, wie hinter ihr Glas zersplitterte. In der Küche stutzte sie einen Augenblick – vielleicht waren es auch zwei – und sah sich suchend um. Dummerweise hatte sie vergessen, was genau sie suchte. Ihr Blick blieb an der Whiskey-Flasche hängen. Der grässliche Geschmack in ihrem Mund erinnerte sie an ihre eben erst gewesene Begegnung mit der Toilettenschüssel. Angewidert schüttelte sie den Kopf. Mit hörbarem Klick stellte ihr Resthirn die Verbindung zu ihrem Plan wieder her und projizierte vor Evas geistiges Auge das Bild einer gigantischen, vollen Mülltüte. Das war es: Mülltüte!
    Mit der ganzen Rolle bewaffnet schaffte es Eva unfallfrei zurück ins Badezimmer. Ohne ihre gewohnte Eleganz ließ sie sich auf die Knie nieder und begann, die größeren Brocken mit spitzen Fingern aus der Beauty-Soße zu ziehen und in den Müllsack zu befördern. Ein Döschen Kaltwachs starrte vorwurfsvoll, doch Eva kannte keine Gnade. Nie wieder! war ihr neues Credo. Sie hatte sich geschminkt, epiliert, toupiert und Diät gehalten, und für wen? Für Männer, denen nichts Dümmeres einfiel, als sie zu verlassen für irgendwelche gebärfreudigen Emilia Romagnas, oder für Kängurus.
    Plötzlich wandte sich Evas geballter Zorn gegen ihren Sohn, der sie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit verlassen hatte. Australien! Warum nicht gleich auf den Mars? Er hätte in ihrer Nähe bleiben sollen, wie es sich gehörte für einen liebenden Sohn, stattdessen war er abgehauen und hatte sie den Ingenieuren dieser Welt ausgeliefert.
    Als Eva merkte, dass sie nun schon seit einigen Minuten das Handtuch anstarrte, mit dem sie Eau de Toilette und Schönheitscreme aufgewischt hatte, stopfte sie es in die Mülltüte und arbeitete sich stöhnend vom Boden hoch. Dann wandte sie sich den Sachen zu, die offen auf Ablagen und Waschtisch herumstanden, und begann, auch diese in ihre Tüte zu packen. Da hielt sie plötzlich den Make-up-Entferner in der Hand.
    Abschminken. Genau. Erstmal.
    Irgendwie konnte sie nun wieder klar denken, wenn auch nicht zusammenhängend. Der Notwendigkeit, sich abzuschminken, folgte die Erkenntnis, dass sie etwas gegen den unsäglichen Geschmack in ihrem Mund und den einsetzenden Brand unternehmen musste. Als sie sich dabei ertappte, wie sie den Zahnputzbecher zum dritten Mal mit Leitungswasser füllte und gierig austrank, beschloss sie, dass auch Zähne putzen zu den zwingenden Notwendigkeiten gehörte. Derart gereinigt und gestärkt wandte Eva sich wieder ihrer Mülltüte zu. Die war bereits fast voll, wenn auch nur des Handtuchs wegen. Sie würde mehrere Tüten brauchen. Eva starrte den Waschtisch an, dann öffnete sie den Spiegelschrank, zog Schubladen auf, fassungslos, dass sie jemals geglaubt hatte, all dieses Zeug zu brauchen. Dies war der Augenblick, der für unsere Geschichte entscheidende Augenblick, in dem in Evas Hirn das Bild einer Liste Gestalt annahm. Ja, sie würde den Triumph ihres Befreiungsschlags noch erhöhen, indem sie eine Liste all jener Dinge anfertigte, die sie als Symbole der Sklaverei von sich stieß.
    Eva liebte Listen. Sie brachten das Leben so schön in Ordnung. Tatsächlich verfasste sie für alles und jedermann Listen. Für ihr Großes, Mittleres und Kleines Programm natürlich. Selbstverständlich Einkaufslisten, aber auch solche, was sie wann in dieser Woche kochen wollte. Was noch zu erledigen war (natürlich auch für Christian, als er noch da gewesen war). Es existierten Listen, was in ihrer Handtasche bei welcher Gelegenheit sein sollte. Für die Hausratsversicherung hatte sie ein komplettes Inventar erstellt, das sie ständig aktualisierte und in dem noch jedes Paar Socken Erwähnung fand.
    Als eine Kollegin ihr gegenüber einmal vorsichtig angedeutet hatte, dass es Therapien für derartige Zwangsneurosen gebe, hatte Eva ihr unbekümmert erklärt, dass
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