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Bahnen ziehen (German Edition)

Bahnen ziehen (German Edition)

Titel: Bahnen ziehen (German Edition)
Autoren: Leanne Shapton
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trauen, du sollst nicht versuchen, anderer Leute Phobien zu heilen, du sollst im Wasser nicht nach dem Handy eines Fremden greifen, du sollst nicht versuchen, einem Verrückten das Messer abzunehmen, und du sollst nicht über die Ausmaße deines Reichtums lügen. Es gibt ein paar schöne Momente: die romantische Spannung zwischen zwei Haiforschern; ein verheiratetes Ehepaar auf verschlafener Moskitojagd im Hotelzimmer; Mann und Frau, die sich im Kampf gegen den bösen Ex verbünden. Doch Szenen ehelicher Liebe scheinen Haiangriffe besonders anzuziehen.
    Benchley hat seinem Weißen Hai die These vom »rogue shark« zugrunde gelegt – dem »bösen Hai«, der Menschenfleisch seinen natürlichen Nahrungsquellen vorzieht –, die seither immer wieder widerlegt wurde. Trotzdem lauern sein Roman und sein Hai weiterhin so mächtig in unserer Fantasie, weil wir eingeladen sind, unsere eigenen bösen Neigungen im großen weißen Bauch des Hais zu verstecken und zu dämonisieren. Selbst Carl Gottlieb, der Ko-Autor des Drehbuchs, ignoriert den Subtext. In Der Weiße Hai Report schreibt er:
    Eine weitere heiße Nebenhandlung, die im Film gestrichen wurde, war die Liebesaffäre zwischen der Frau des Polizeichefs und dem jungen Ozeanographen. Die sexuelle Spannung dieser Liaison wurde zugunsten einer direkteren Erzählstrategie herausgeschnitten, eines unkomplizierten Mensch-gegen-Haimonster-Abenteuermärchens mit Untertönen, die soziale Verantwortung und den individuellen Einsatz für das Gemeinwohl propagieren.
    Jeden Sommer stellt mir James die gleiche Frage: Warum habe ich solche Angst vor Haien und bin gleichzeitig so besessen von ihnen? Nachdem ich all die Filme gesehen habe, entwickele ich die Idee, dass meine Faszination für Haie unmittelbar mit meinem Interesse an Vorstellungen von sentimentaler, obsessiver, unerwiderter und wahrer Liebe zusammenhängt. Die Hoffnungen und Träume, die ich in Bezug auf Liebe hochhalte, haben einen verborgenen Kontrapunkt. Mein Grauen vor Haien ist die Angst vor Einsamkeit, Verwundbarkeit, Gewalt durch etwas, dass körperlich stärker, unemotional (und hungrig) ist. Die Fantasie der Unterwerfung spielt auch eine Rolle, die gefährliche Sehnsucht, sich von etwas Fremdem verschlingen zu lassen.
    Haiangriffe sind anthropomorphisierte Verbrechen aus Leidenschaft – oder sogar Symbol für Scheidung. Der negative Appetit, der Haien zugeschrieben wird – Gier, Zwanghaftigkeit, kaltblütiger Vorsatz, Gewalt, Völlerei –, steht für menschliche Laster. Wir alle haben wilde Seiten und aufgerissene Mäuler, wir alle sind fähig, zu fressen und gefressen zu werden. Selbst die Sprache der Liebe ist destruktiv: Liebe zerreißt uns. Wir verlieren unser Herz, beißen an, es hat uns erwischt, wir brennen vor Leidenschaft, unser Herz ist gebrochen, wir sind am Boden zerstört. Bisschen Schütteln , bisschen Kauen , und weg bist du .
    Zuzugeben, dass man auf der Suche nach Liebe ist, bedeutet, zu akzeptieren, dass man bereit ist, sich auf etwas einzulassen, das einen überwältigen, einem das Herz brechen kann, bedeutet, sich auszuziehen und ins kalte Wasser zu springen.
    Als ich das Bahnenziehen aufgebe – die Kontrolle, das Belohnungssystem, das Schwimmen für mich war –, weiß ich, dass ich dasselbe in meiner Ehe tun sollte; dass die Ehe, auch wenn ich ständig daran arbeiten und mir der Strömungen und des Wellengangs bewusst sein muss, kein Wettkampf ist, den ich gewinnen kann, keine bekannte Strecke in ruhigem, klarem Wasser. Sie ist mein kleines offenes Gewässer, und wenn ich behutsam bin, trägt sie mich vielleicht.
    James und ich verbringen ein paar Tage in Prouts Neck, Maine, in einem Haus, das einmal Winslow Homer gehört hat. Wie Edward Hopper und Andy Warhol begann Homer seine Karriere als Illustrator, bevor er sich den tieferen Gefilden der schönen Künste zuwandte. Für mich ist Illustration eine Version dessen, was wir verstehen, zu dem wir uns in den meisten Fällen bewusst hingezogen fühlen und das wir vor uns sehen, während Kunst etwas zeigt, das wir noch nicht gesehen haben, das noch nicht artikuliert wurde, zumindest nicht auf eine vertraute Art.
    In vielen seiner Werke hält Homer an den Konventionen der Illustration fest, doch dort, wo Haie auf seinen Gemälden auftauchen, wird es interessant. Neben den idyllischen Seelandschaften und zerklüfteten Küsten, seinen Fischersfrauen und Badenden ragen seine Hai-Bilder heraus. In Golfstrom von 1899 liegt ein einsamer
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