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Bahnen ziehen (German Edition)

Bahnen ziehen (German Edition)

Titel: Bahnen ziehen (German Edition)
Autoren: Leanne Shapton
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vor, schwimme wie ein Otter und gleite durchs Wasser wie ein Delphin. Nina schwimmt zu den Felsen, und ich schwimme ein paar Vorführrunden am Strand entlang. Ich sehe, wie er aufsteht und zum Steg geht. Er ist allein. Ich schwimme weg, bewusst nicht in seine Richtung, wünschte, ich wollte nicht zu ihm schwimmen, doch ich bin selbst erstaunt, wie groß mein Verlangen ist, ihn im Wasser zu sehen. Ich katapultiere mich immer weiter weg, dann trete ich auf der Stelle und sehe zu, wie er mit ruckartigen Bewegungen einmal um den Steg schwimmt und wieder aus dem Wasser steigt.
    Nina liegt wieder unter dem Sonnenschirm. Ich schwimmezum Steg und klettere aus dem Wasser. Ich lege die Schwimmbrille neben mich, als ich mich einen Augenblick in die Sonne lege, und denke an den Badeanzug, den ich trage (ein braunweißer Vintage-Badeanzug mit Zebramuster aus den 1970ern, den ich auf einem Garagenflohmarkt in South Salem, New York, gekauft habe). Auf dem Rückweg zum Sonnenschirm muss ich an dem Mann und seinen Eltern vorbei.
    Auf halbem Weg merke ich, dass ich die Schwimmbrille auf dem Steg vergessen habe. Ein paar Meter vor seinem Sonnenschirm bleibe ich stehen und gehe zurück, um die Brille zu holen. Als ich wieder bei ihnen bin, kommt seine Mutter auf mich zu. Einen Augenblick fürchte ich, dass sie meine unangebrachte Schwärmerei für ihren Sohn bemerkt hat und mir sagen will, ich soll mich fernhalten, aber das tut sie nicht. Wir führen ein freundliches Gespräch, und ich mag sie auf Anhieb. Als wir uns trennen, winke ich dem Mann und seinem Vater zu.
    Wieder unter unserem Sonnenschirm habe ich Herzklopfen. Ich setze mich und trinke den Rest meiner Piña Colada aus, der sich am Boden des Plastikbechers aufgewärmt hat.
    Nina sieht mich an:
    »Na.«

D ER WEISSE HAI
    Quint: »Ihr kennt mich. Ihr wisst, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Ich fang euch den Vogel, aber leicht wird’s nicht ... Übler Bursche. Ist nicht so, als ob man über’n Teich paddelt und Klumpfische fängt oder Dorsche. Der Hai hier – der frisst dich mit Haut und Haar. Bisschen Schütteln, bisschen Kauen, und weg bist du.«
    Peter Benchley und Carl Gottlieb,
    Der weiße Hai (1975)
    Ein Schwimmer braucht Bedingungen, wie sie ihm nur im Becken zur Verfügung stehen; eine bekannte Strecke, ruhiges, klares Wasser und gut definierte Linien am Grund, die kurz vor der Wand mit erkennbaren Kreuzen enden, sowie eindeutige Kennzeichnungen am Beckenrand.
    Robert J.H. Kiphuth,
    Swimming (1942)
    Das Hotel liegt direkt am Wasser im Bråviken, einer malerischen Ostseebucht in Schweden. Die Mole, ein T -förmiger Steg zwischen Motorbooten, sieht einladend aus an diesem Spätsommernachmittag. Wir breiten unsere Handtücher auf den Planken aus und legen uns in die Sonne. Das Wasser ist grüngrau; ein starker Wind kräuselt die Oberfläche. James geht zuerst hinein, und die Wellen treiben ihn schnell entlang der Mole zum Land. In einem Bogen schwimmt er wieder hinaus, zu einer von sechs großen leuchtend roten Bojen, die parallel zum Ende des Stegs liegen. Er schwimmt im Slalom um sie herum, dann hält er sich an einer fest und zieht sie zu sich herunter, um ihren Mast zu umarmen. Ich sehe ihm vom Handtuch aus zu, trocken und warm von der Sonne. Als er um die hohen Bojen herumschwimmt, denke ich über meine Aversion gegen offenes Wasser nach. Ich frage mich: Wie viele Leistungsschwimmer schwimmen gerne in offenem Wasser? Ich vergleiche mein Wohlgefühl im Becken mit meinem Unwohlgefühl im offenen Wasser, meine Zufriedenheit in der Einsamkeit mit meinen Ängsten in der Zweisamkeit. Ich denke an Grenzen, wie leicht das Leben sein kann, wenn es Grenzen hat, wenn es überschaubar ist. Grenzen kommen meinem Kontrollzwang entgegen.
    Ich frage andere ehemalige Leistungsschwimmer, wie sie zu offenem Wasser stehen, und den meisten geht es genauso wie mir. So ist es auch bei meinem alten Trainer Byron. Sein erster Einwand ist die Kälte, sein zweiter, aufpassen zu müssen, wohin man schwimmt, und den dritten beschreibt er als den »Was zur Hölle ist da unten?«-Faktor. Er erzählt mir von einem Trainingslager im offenen Meer in Barbados, bei dem sich einSchwimmer aus Neufundland weigerte, sich mehr als zehn Meter vom Land zu entfernen, weil er Angst vor Haien hatte.
    Ich sehe James noch eine Weile zu, dann beschließe ich, auch hineinzugehen. Das Wasser ist wärmer als im Vättern, einem kristallklaren See, in dem wir nach dem Frühstück geschwommen sind. Es schmeckt
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