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Babettes Fest

Babettes Fest

Titel: Babettes Fest
Autoren: Tania Blixen
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Universum geschaut, wie es wirklich ist. Eine Stunde des Tausendjährigen Reichs war ihnen geschenkt worden.
Die alte Frau Löwenhjelm brach als erste auf.
Ihr Neffe begleitete sie, und die Gastgeberinnen leuchteten ihnen bis vors Haus. Während Philippa der alten Dame in ihre zahlreichen Hüllen half, ergriff der General Martines Hand und hielt sie lange und wortlos in der seinen. Schließlich sagte er: «Jeden Tag meines Lebens bin ich bei dir gewesen. Das weißt du doch, nicht?» «Ja», sagte Martine.
«Ich weiß, daß es so war.»
«Und», fuhr er fort, «ich werde bei dir sein jeden Tag, den ich noch zu leben habe. Jeden Abend – wenn schon nicht im Fleisch, das hat ja nichts zu bedeuten, aber im Geist, und darauf kommt alles an – werde ich mich mit dir zu Tisch setzen, so wie heute abend.
Denn heut abend, liebe Schwester, habe ich gelernt, daß in dieser Welt alles möglich ist.»
«Ja, so ist es, lieber Bruder», sagte Martine.
«In dieser Welt ist alles möglich.»
Damit trennten sie sich.
Als schließlich auch die übrige Gesellschaft aufbrach, hatte es zu schneien aufgehört. Dorf und Berge lagen in weißem, jenseitigem Schimmer, und der Himmel war hell von tausend Sternen. Auf der Straße lag der Schnee so tief, daß man kaum Schritt vor Schritt setzen konnte. Die Gäste aus dem gelben Haus waren unsicher auf ihren Füßen; sie schwankten, setzten sich unvermittelt hin oder fielen nach vorn auf alle viere und wurden über und über weiß von Schnee, als wären wirklich ihre Sünden weißgewaschen wie Wolle, und sie hüpften nun in diesem ihrem neugewonnenen Unschuldsstand übermütig wie die Lämmer. Es war köstlich für sie alle, wieder zu sein wie die Kinder; nebenbei war es auch ein Heidenspaß, die alten Mitbrüder und Mitschwestern, die sich immer so wichtig genommen hatten, in diesem Himmelszustand einer zweiten Kindheit zu beobachten. Sie stolperten und richteten sich wieder auf, sie schritten dahin und standen still, hatten sich dabei körperlich sowohl wie seelisch bei der Hand gefaßt und sahen mitunter aus, als tanzten sie in einer Francaise der Seligen die Figur mit der großen Kette.
«Segne dich, segne dich, segne dich», hallte es wie Echo aus der Harmonie der Sphären nach allen Seiten.
Martine und Philippa standen noch lang auf der Steintreppe vor dem Haus. Sie spürten nichts von der Kälte.
«Die Sterne sind näher gekommen», sagte Philippa.
«Das werden sie jetzt jede Nacht tun», sagte Martine still. «Gut möglich, daß es überhaupt nicht mehr schneit.»
Darin irrte sie sich jedoch. Eine Stunde später begann es von neuem zu schneien, und zwar mit einer Heftigkeit, wie man es in Berlevaag noch nie erlebt hatte. Am andern Morgen brachten die Leute kaum ihre Türen auf, so schwere Schneewehen lasteten dagegen. Und die Fenster waren so dick eingeschneit – das wurde noch nach Jahren erzählt –, daß viele gute Bürger im Ort vom Tagesanbruch gar nichts bemerkten und bis tief in den Nachmittag hinein schliefen.

12. Die große Künstlerin

Als Martine und Philippa die Haustür zuschlossen, besannen sie sich plötzlich auf Babette. Eine kleine Woge der Zärtlichkeit und des Mitleids erfüllte sie. Babette als einzige hatte keinen Teil gehabt an den Segnungen des Abends.
Sie gingen hinüber in die Küche, und Martine sagte zu Babette: «Das war wirklich ein nettes Essen, Babette.»
Ihre Herzen füllten sich unvermutet mit Dankbarkeit. Es wurde ihnen bewußt, daß keiner der Gäste auch nur ein Wort über die Bewirtung gesprochen hatte. Auch sie selber, und wenn sie sich die größte Mühe gaben, konnten sich an keines der Gerichte erinnern, die aufgetragen worden waren. Martine kam die Schildkröte in den Sinn. Die war ja gar nicht auf den Tisch gekommen, sie schien plötzlich weit entfernt und nur wie eine blasse Erinnerung – womöglich war sie überhaupt nur ein Nachtmahr gewesen.
Babette saß auf dem Hackklotz, umgeben von ruß geschwärzten und fettverschmierten Töpfen und Pfannen in einer Anzahl, wie ihre Herrinnen sie nie auf einem Haufen beisammen gesehen hatten. Sie war so weiß im Gesicht und so zu Tode erschöpft wie in jener Nacht, als sie in Berlevaag erschien und an der Tür der Propsttöchter zusammengebrochen war. Es verging eine lange Zeit, dann blickte sie zu den Schwestern auf und sagte: «Ich bin Köchin im Café Anglais gewesen.»
Martine wiederholte: «Das haben wirklich alle gefunden, ein nettes Essen!» Als Babette mit keinem Wort darauf einging, setzte
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