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B00BOAFYL0 EBOK

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Titel: B00BOAFYL0 EBOK
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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etwas über die Menschen erfährt, die sie von sich geben, und die intendierte Botschaft in den Hintergrund rückt: Heute morgen nahm ich in der Zahnarztpraxis die Zeitschrift Newsweek in die Hand und las die Ausführungen eines Journalisten zu einer prominenten Figur aus dem Wirtschaftsleben, vor allem deren Gespür für das richtige »Timing«, und erkannte, dass ich im Geiste eine Liste der Wahrnehmungsverzerrungen des Journalisten zusammenstellte, anstatt die Informationen im Artikel selbst zu verarbeiten, den ich unmöglich ernst nehmen konnte. (Warum begreifen denn die meisten Journalisten nicht irgendwann, dass sie weitaus weniger wissen, als sie meinen? Vor einem halben Jahrhundert erforschten Wissenschaftler das Phänomen der »Experten«, die nicht aus ihren früheren Fehlern lernen. Man kann ein Leben lang nichts als falsche Prognosen abgeben und dennoch glauben, beim nächsten Mal richtig zu liegen.)

Unsicherheit und Wahrscheinlichkeit
    Meiner Ansicht nach ist das wichtigste Gut, das ich bewahren und pflegen muss, meine tief verwurzelte intellektuelle Unsicherheit. Mein Motto lautet: »Meine Haupttätigkeit besteht darin, jene zu provozieren, die sich selbst und die Qualität ihres Wissens zu ernst nehmen.« Diese Unsicherheit anstelle intellektuellen Selbstvertrauens zu pflegen mag als Ziel seltsam anmuten – und leicht umzusetzen ist es auch nicht. Dazu müssen wir unser Denken von der unlängt entstandenen Tradition intellektueller Sicherheiten befreien. Dank der Korrespondenz mit einem Leser konnte ich den französischen Essayisten und berufsmäßigen Introspekteur Montaigne wiederentdecken. Die Konsequenzen des Unterschieds zwischen Montaigne und Descartes faszinierten mich – wie wir vom Weg abgekommen sind, indem wir Descartes’ Suche nach Gewissheit folgten. Durch Übernahme seines formalen Denkens anstelle der vagen und informellen (aber kritischen) Urteile à la Montaigne haben wir mit Sicherheit unseren Geist verschlossen. Ein halbes Jahrtausend später dient der äußerst introspektive und unsichere Montaigne als Rollenvorbild für den modernen Denker. Darüber hinaus war er ein außergewöhnlich mutiger Mann: Um skeptisch zu bleiben, bedarf es sicherlich der Tapferkeit, und es erfordert ungeheuerliche Courage, den Blick nach innen zu richten, sich selbst in Frage zu stellen, seine Grenzen anzunehmen – Wissenschaftler finden immer mehr Beweise, dass Mutter Natur uns speziell so geschaffen hat, dass wir uns gerne etwas vormachen.
    Es gibt viele intellektuelle Ansätze zur Wahrscheinlichkeit und zum Risiko. Dabei wird »Wahrscheinlichkeit« von den Vertretern der einzelnen Fachrichtungen jeweils unterschiedlich definiert. Dieses Buch verwendet eine hartnäckig qualitative und literarische Auffassung anstelle einer quantitativen und »wissenschaftlichen« Perspektive (was die Warnungen vor Ökonomen und Finanzprofessoren erklärt, da sie felsenfest davon überzeugt sind, dass sie etwas wissen – und noch dazu etwas Nützliches). Hier wird Wahrscheinlichkeit als Ableitung von Humes Problem der Induktion dargestellt (bzw. Aristoteles’ Inferenz zum Allgemeinen), nicht etwa als Paradigma der Spieltheorie. Wahrscheinlichkeitslehre ist in diesem Buch vornehmlich ein Zweig des angewandten Skeptizismus, keine technische Disziplin (trotz aller selbstgefälligen mathematischen Abhandlungen zu diesem Thema verdienen die mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung verbundenen Probleme selten mehr als eine Fußnote).
    Wie kommt das? Wahrscheinlichkeit ist nicht einfach nur eine Berechnung der Chancen, sondern die Akzeptanz der fehlenden Sicherheit unseres Wissens und die Entwickung von Methoden zum Umgang mit unserer Ignoranz. Außerhalb der Lehrbücher und Kasinos stellt sich Wahrscheinlichkeit fast niemals als mathematisches Problem oder Denksportaufgabe dar. Mutter Natur sagt uns nicht, wie viele Löcher es auf dem Roulettetisch gibt, und sie präsentiert uns Probleme auch nicht in lehrbuchgerechter Form (in der Realität muss man eher das Problem als die Lösung erraten). In diesem Buch steht die Überlegung, dass alternative Ergebnisse stattfinden hätten können, dass sich die Welt anders hätte entwickeln können, im Zentrum des probabilistischen Denkens. Faktisch habe ich meine gesamte Karriere damit verbracht, die quantitative Verwendung von Wahrscheinlichkeit anzugreifen. Während für mich Kapitel 13 und 14 (die sich mit Skeptizismus und Stoizismus beschäftigen) die zentralen Thesen dieses
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