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Ayesha - Sie kehrt zurück

Ayesha - Sie kehrt zurück

Titel: Ayesha - Sie kehrt zurück
Autoren: Henry Rider Haggard
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wunderschönes Gesicht, ihr dunkles Haar! Und sie blickte mich mit einem traurigen, vorwurfsvollen Ausdruck an, als ob sie mir sagen wollte, so kam es mir vor, ›wie konntest du an mir zweifeln?‹
    Ich wollte ihr etwas sagen, doch meine Lippen waren wie zugeschnürt. Ich versuchte auf sie zuzutreten, sie zu umarmen, doch mein Körper war wie gelähmt. Zwischen uns war eine Barriere. Sie hob eine Hand und winkte mir, als ob sie mich aufforderte, ihr zu folgen.
    Dann glitt sie fort, und, Horace, meine Seele schien sich aus meinem Körper zu lösen und hinter ihr herzuschweben. Wir flogen ostwärts, über Länder und Meere und ... ich kannte den Weg. An einem Punkt verhielt sie, und ich blickte hinab. Unter mir lagen im hellen Schein des Mondes die Ruinen der Schlösser von Kôr.
    Weiter über die Marschen, und kurz darauf standen wir auf dem ›Kopf des Äthiopiers‹, und um uns versammelt waren die Araber, unsere Gefährten, die in der See ertrunken waren. Job befand sich unter ihnen, und er lächelte mich traurig an und schüttelte den Kopf, als ob er uns gerne begleiten würde, es ihm aber unmöglich wäre.
    Wieder über einen Ozean und sandige Wüsten, erneut über ein Meer, bis die Küste Indiens unter uns auftauchte. Dann nach Norden, immer weiter nach Norden, über Dschungel und Steppen, bis vor uns ein von ewigem Schnee bedecktes Gebirge auftauchte. Wir zogen auch über das Gebirge hinweg und schwebten ein paar Sekunden lang über einem Gebäude, das am Rand eines kleinen Plateaus stand. Es war ein Kloster, denn ich sah alte Mönche, die auf der Terrasse beteten. Ich werde es wiedererkennen; es ist in der Form eines Halbmondes gebaut, und vor dem Kloster erhebt sich die gigantische, halb verfallene Statue eines Gottes, der ewig über die Unendlichkeit der Wüste blickt. Ich weiß – wieso, kann ich dir nicht erklären –, daß wir uns jenseits der Grenzen Tibets in einem unentdeckten Land befanden. Das Kloster stand auf einem Plateau am Rand einer gewaltigen Bergkette, und jenseits der Wüste erhob sich ein weiteres Gebirgsmassiv, Hunderte von schneebedeckten Gipfeln.
    In der Nähe des Klosters erhob sich ein einzelner, steiler Berg, der höher war, als alle anderen. Wir standen auf seinem schneebedeckten Gipfel und warteten, bis plötzlich ein greller Lichtstrahl über die Berge und die Wüste zuckte, wie ein Signal über das Meer. Wir glitten an dem Lichtstrahl hinab – über die Wüste und die Gebirgskette hinweg und über die weite Ebene hinter den Bergen, auf der ich mehrere Dörfer entdeckte, und eine Stadt, die auf einem Hügel erbaut worden war, bis wir auf dem Gipfel eines hoch aufragenden Berges landeten. Ich sah, daß der Gipfel die Form eines Ringes hatte, wie das Lebenssymbol der Ägypter – das crux-ansata – und auf einem mehrere hundert Fuß hohen, pfeilerförmigen Lavafelsen getragen wurde. Ich sah auch, daß der Feuerschein, der durch diesen Ring fiel, aus dem Krater eines Vulkans kam, der hinter diesem Berg lag. Wir befanden uns auf dem höchsten Punkt des Ringes und ruhten uns ein wenig aus, bis Ayeshas Hand nach unten deutete. Dann lächelte sie und verschwand. Und ich erwachte.
    Horace, ich sage dir, das ist das Zeichen, auf das wir gewartet haben!«
     
    Seine Stimme erstarb im Dunkel. Ich saß reglos und dachte über seine Worte nach. Leo tastete sich zu mir, packte meinen Arm und schüttelte ihn.
    »Schläfst du?« fragte er ärgerlich. »Sprich, Mann, sag doch etwas!«
    »Ich war noch nie so wach wie jetzt«, antwortete ich. »Laß mir etwas Zeit!«
    Ich stand auf, trat zum offenen Fenster und starrte zum Himmel empor, der sich mit der anbrechenden Dämmerung perlgrau färbte. Leo trat neben mich und lehnte sich auf das Fensterbrett. Ich fühlte, daß sein Körper zitterte, als ob er fröre.
    »Du sprichst von einem Zeichen«, sagte ich nach einer Weile, »doch ich kann nichts anderes sehen, als einen wilden Traum.«
    »Es war kein Traum«, widersprach er hitzig, »es war eine Vision.«
    »Gut, meinetwegen eine Vision; aber es gibt echte und falsche Visionen, und woher sollen wir wissen, daß die deine echt ist? Hör mir zu, Leo! Was ist in deinem ganzen, wunderbaren Traum, das nicht Produkt deiner eigenen Phantasie sein könnte, ein Wunschdenken deines Gehirns, das vor Trauer und Sehnsucht an den Rand des Wahnsinns getrieben worden ist? Du hast geträumt, daß du allein unter einem dunklen Himmel stündest. Ist nicht jede lebende Kreatur in letzter Konsequenz allein? Du hast
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