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Ayesha - Sie kehrt zurück

Ayesha - Sie kehrt zurück

Titel: Ayesha - Sie kehrt zurück
Autoren: Henry Rider Haggard
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Sommer anbrach. Nun sagte ich, daß ich gehen müsse. Die Priester gaben mir eine Handvoll Edelsteine aus der Schatzkammer des Tempels, die ich zu Geld machen sollte, falls ich unterwegs welches brauchen würde, denn das Gold, von dem sie dank Ayeshas Künsten die Menge hatten, war zu schwer, als daß ein Mann allein eine ausreichende Menge davon hätte tragen können. Eine Eskorte von Priestern brachte mich über die Ebene von Kaloon, auf der die Bauern – diejenigen, die übriggeblieben waren – das Land pflügten und bestellten, bis wir die Stadt erreichten. Doch ich weigerte mich, diese Stätte brandgeschwärzter Ruinen, aus der sich fast unbeschädigt der düstere Palast Atenes erhob, zu betreten, denn für mich war diese Stadt die Heimstätte des Todes, und das wird sie auch für immer bleiben. Also lagerte ich außerhalb ihrer Mauern, an der Stelle, wo Leo und ich mit dem Fährboot gelandet waren, nachdem der bedauernswerte, irrsinnige Khan uns die Freiheit geschenkt hatte – oder vielmehr uns freigesetzt hatte, damit er uns mit seinen Hunden des Todes hetzen konnte.
    Am nächsten Morgen stiegen wir in Boote, die uns gegen die Strömung den Fluß hinauf brachten. Wir kamen an dem Ort vorbei, an dem wir gesehen hatten, wie der Lord von den Hunden zerrissen worden war, und erreichten schließlich das Torhaus, in dem wir die Nacht verbrachten.
    Am folgenden Morgen stieg ich in die Schlucht hinab und stellte überrascht fest, daß das Flußbett – das heißt, aus dem reißenden Fluß, in dem wir fast zu Tode gekommen waren, war wieder ein flacher Bach geworden – mit gefällten Bäumen überspannt war, und daß man in Vorbereitung meines Kommens rohe Leitern an der gegenüberliegenden Steilwand der Schlucht befestigt hatte. Am Fuß dieser Leiter verabschiedete ich mich von Oros, der bei unserer Trennung genauso wohlwollend lächelte wie an dem Tag, an dem wir uns getroffen hatten.
    »Wir haben gemeinsam seltsame Dinge gesehen«, sagte ich, da ich nicht wußte, was ich ihm sonst hätte sagen können.
    »Sehr seltsame Dinge«, antwortete er.
    »Zumindest, Freund Oros«, fuhr ich mit belegter Stimme fort, »haben sich die Dinge zu deinem Vorteil entwickelt, denn du hast einen Königsmantel geerbt.«
    »Ich trage das Purpur geliehener Königswürde«, antwortete er, »die man eines Tages von mir zurückfordern wird.«
    »Du meinst also, daß die große Hesea nicht tot ist?«
    »Ich meine, daß Hes niemals stirbt. Sie verändert sich, das ist alles. So wie der Wind einmal aus der und dann aus einer anderen Richtung weht, so kommt und geht sie, und wer kann sagen, an welchem Ort dieser Erde – oder auch außerhalb von ihr – der Wind für eine Weile ruht? Doch bei Sonnenuntergang oder Dämmerung, zu Mittag oder um Mitternacht, wird er wieder zu wehen beginnen, und dann wehe denen, die in seinem Wege stehn.
    Erinnere dich an die Berge von Toten vor den Toren Kaloons! Erinnere dich an den Fortgang des Schamanen Simbri, an den Auftrag, den er von der Hesea erhielt, und an seine Abschiedsworte! Erinnere dich an das Verschwinden der Hesea vom Gipfel des Berges! Fremder aus dem Westen, so sicher, wie sich morgen wieder die Sonne über den Horizont erheben wird, wird Sie eines Tages zurückkehren, und in meinem geliehenen Königsmantel erwarte ich ihr Kommen.«
    »Ich warte ebenfalls auf ihr Kommen.« Mit diesen Worten trennten wir uns.
     
    In Begleitung von zwanzig ausgesuchten Priestern, die Nahrungsvorräte und Waffen trugen, stieg ich ohne besondere Anstrengung die rohen Leitern hinauf, und dank der reichlichen Ausstattung mit allem Nötigen gelangten wir ohne Zwischenfall auf die andere Seite des Gebirges. Die Eskorte begleitete mich sogar noch durch die hinter den Bergen liegende Wüste, bis wir eines Tages in Sichtweite der gigantischen Buddhastatue kampierten, die vor dem Kloster steht und für ewig über Sand und Schnee zu den fernen Bergen hinüberblickt.
    Als ich am nächsten Morgen erwachte, waren die Priester verschwunden. Ich nahm meinen Packen auf und setzte den Marsch allein fort, und kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichte ich das Lamakloster. Vor seiner Tür saß ein uralter Mann, in einen zerfetzten, abgetragenen Mantel gehüllt, und schien den Himmel zu betrachten. Es war unser alter Freund Kou-en. Er rückte die Hornbrille auf seiner Nase zurecht und blickte mich an.
    »Ich habe dich erwartet, Bruder aus dem Kloster, das die Welt genannt wird«, sagte er und versuchte vergeblich, die Freude zu
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