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Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon

Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon

Titel: Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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hatte man in diesem Waldstück einen dreireihigen Kreis aus Eichen gepflanzt, deren hängende Blätter nun leise im Abendwind knisterten. Der Mond schimmerte wie eine gerundete Flussperle, die sich in einem Netz aus Zweigen verfangen hatte. Unter den Bäumen waren die Umhänge der Priesterinnen als dunkle Kleckse erkennbar.
    Mit seiner Bemerkung hatte er auf Helve angespielt. Dabei hatte er gar nicht so viel mit ihr zu tun, dachte sie bei sich. Sie drückte einverständig seine Hand, bevor sie dann über das Gras lief, um sich zu den anderen zu gesellen.
    »Lhiannon, wie schön, dass du zu uns kommst«, sagte Helve. Sie war Oberpriesterin und fast so begabt, wie sie sich das einbildete. »War es schwer, die Mädchen vor dem Schlafengehen zu beruhigen?« Lhiannon war sich nicht ganz sicher, ob da nicht ein wenig Spott in ihrer Stimme mitschwang.
    Wenn du da gewesen wärest, dachte sie bei sich, dann brauchtest du nicht zu fragen.
    »Auf die Neue, diese Icenerin, muss man ein Auge haben – vielleicht sollte ich sie einer speziellen Schulung unterziehen«, fuhr Helve fort.
    »Du bist die Herrin des Hauses der Priesterschülerinnen«, sagte Lhiannon ruhig, dachte aber im Stillen: Wenn du Boudicca unterrichten willst, dann schlage ich vor, du fängst damit an, dir ihren Namen zu merken!
    Sie war sich nicht sicher, ob sie hoffen oder fürchten sollte, dass Helve das Mädchen unter ihre Fittiche nahm. Boudicca war ebenso stolz wie die Oberpriesterin, vielleicht sogar sturer. Und noch schlimmer war die Vorstellung, dass Helve bei ihr eher Stolz und Hochmut förderte, anstatt ihr Bescheidenheit und Demut beizubringen.
    Ein helles Glockengeklingel ertönte von außerhalb des Baumkreises, und aus dem Dickicht der Bäume erschien die Hohepriesterin mit ihren Dienerinnen im Gefolge. Der feierliche Schritt des Rituals, mit dem sie näher kam, verlieh Mearans gedrungener Gestalt eine anmutige Grazie. Obwohl die Kulthandlungen vom ganzen Orden gemeinsam verrichtet wurden, gehörten die Mondrituale den Priesterinnen, während die Priester für die Sonnenrituale zuständig waren. Und die Stunde heute gehörte den Frauen.
    »Sehet, meine Kinder, wie die Mondenjungfrau über uns scheint.« Die Stimme der Hohepriesterin drang zu den anderen herüber. »Sie steht früh auf, und sie geht früh zu Bett – jung ist sie und voller Verheißung, wie die Kinder, die zu uns gekommen sind, um zu lernen. Wir werden sie die alten Traditionen lehren. Aber was werden wir von ihnen lernen? An diesem Abend bitten wir die Göttin, uns Herz und Geist zu öffnen. Denn die Weisheit der Alten dauert fort, auch wenn die Welt sich ewig ändert, so wie die Bedeutung dieser Weisheit. Wenn wir uns wegbewegen von den Menschen, denen wir zu dienen haben, sodass sie unsere Worte nicht länger verstehen, dann können wir auf unserer Insel vor nichts mehr sicher sein.«
    Im Kreis war es still. Nur ein Vogel piepte im Eichenhain, dann verstummte auch er. Lhiannon konzentrierte sich auf ihre Verbindung mit der Erde und versuchte, ihre inneren Spannungen abfließen zu lassen. Die Stille vertiefte sich, als die anderen es ihr gleichtaten, und lud sich langsam auf mit Energie.
    Die Hohepriesterin näherte sich dem stehenden Stein in der Mitte des Kreises. »Dir, geliebte Herrin, bringen wir diese Gaben dar.« Die Dienerinnen legten nacheinander die mitgebrachten Frühlingsblumen auf den Stein, und Lhiannon und die anderen Priesterinnen traten in die Mitte, um sie zu umringen.
    »Heilige Göttin, heilige Göttin …«, klangen die Stimmen der Frauen empor, riefen in verschmolzener Harmonie den geheiligten Namen an.
     
    Wirf über diese heiligen, alten Bäume
    dein herrlich silbernes Licht;
    enthülle dein Gesicht,
    auf dass wir unverschleiert schauen
    seinen Glanz in der Nacht …
    Mearan stand vor dem Altar, die Hände betend gen Himmel ausgebreitet. Während das Lied weiter erklang, schien das Mondenlicht sie zu umfangen, als süß und sanft die Göttin in sie drang. Ihre gedrungene Gestalt wurde größer, ihr Gesicht begann zu strahlen, und sie leuchtete vor Kraft. Vergessen war das Gesicht des Zorns, das die Göttin zeigte, wenn die Männer sie als Rabe der Schlacht anriefen. Heute Abend war sie zu ihnen als die holde Göttin des Silberrades gekommen.
    »Heilige Göttin, heilige Göttin …«, skandierten die Männer, als hätte die feste Erde eine Stimme gefunden, die Worte zu erwidern.
     
    Wirf dein Licht auf die fruchtbare Erde,
    deinen hellen Glanz auf die
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