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Außer Atem - Panic Snap

Außer Atem - Panic Snap

Titel: Außer Atem - Panic Snap
Autoren: Laura Reese
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hatte, war ich so naiv zu glauben, dass es so sei. Ihr Platz in der Welt war niemals sicher, und meiner, bedroht von einer zwölfjährigen Strafe, noch viel weniger.
    Die Geschworenen haben mich für nicht schuldig befunden. Es hätte auch anders ausgehen können.
    Ich halte vor dem Haus von Mrs. McGuane, mache den Motor aus, bleibe aber noch im Wagen sitzen. James und Gina haben befürchtet, ich könnte Byblos zerstören, doch die Weinkellerei geht sehr gut. Die Verkäufe haben sich ständig erhöht, was bedeutet, dass die Leute die Berichte der Sensationspresse entweder ignoriert oder gerade ihretwegen mehr Wein gekauft haben. Ein bisschen traurige Berühmtheit scheint dem Geschäft nicht zu schaden, denke ich. Madame de Sades Geist fördert den Verkauf. Die Leute in Napa haben unterschiedlich auf das Urteil reagiert. Manche glauben noch immer, was in den Zeitungen stand, und schwören, ich sei nur nach Byblos gekommen, um die McGuanes zu vernichten. Andere akzeptieren das Urteil, doch ihr Verhalten mir gegenüber hat sich verändert. Ich sehe die heimlichen Blicke, wenn ich in der Stadt bin, höre das Tuscheln: nicht schuldig, aber auch nicht unschuldig.
    Allerdings quälen mich der Klatsch, die versteckten Beleidigungen oder bewussten Kränkungen weit weniger, als ich mich selbst quäle. Ich habe nichts getan, um Annas Tod zu verhindern. Ich habe es nicht einmal versucht. Wie soll ich mein früheres Sein mit meinem heutigen in Einklang bringen? Ich weiß ja nicht einmal, wo ich anfangen soll.
    In der Ferne sehe ich, dass die Arbeiter die Rebstöcke beschneiden und lose Zweige festbinden. Um diese Jahreszeit sind die Pflanzen kahl, ohne jedes Blattwerk. Ich denke an den Gemüsegarten – wahrscheinlich braucht er jetzt eine neue Lage Dung –, und dann wird mir klar, dass mich das nichts mehr angeht. Ich öffne das Handschuhfach, finde darin, was ich suche, schließe die Hand darum und schaue hinüber zu Mrs. McGuanes Haus, diesem prachtvollen, soliden Familienhaus, das nicht meines ist. Und niemals meines sein wird. Ich lege die Hand auf den Türgriff, zögere. Noch immer weiß ich nicht genau, was ich Mrs. McGuane sagen soll.
    Meine Erinnerungen sind nicht zurückgekehrt, und meine Identität ist nach wie vor ein Geheimnis. Gelegentlich, zu den seltsamsten Zeiten, mitten in einem Satz am Telefon oder wenn ich in der Badewanne liege, fühle ich einen winzigen Ruck in mir, spüre einen dünnen, vagen und zarten Erinnerungsfaden, der mich zurückziehen will. Die Ärzte haben mich zwar vor der Flüchtigkeit des Erinnerns gewarnt, aber ich fühle mich trotzdem von meinem Erinnerungsvermögen betrogen; es ist, als enthalte ein guter Freund mir etwas vor oder betrüge mich oder führe mich vorsätzlich in die Irre. Ich habe immer gedacht, mein Erinnerungsvermögen sei wie ein Puzzle – wenn ich die Lücken füllte, würde sich ein klares Bild ergeben. Doch das ist nicht geschehen. James hat mir ein paar Tatsachen mitgeteilt, aber sie sind kein Teil von mir geworden, sondern nur Bruchstücke in meinem Kopf, mit keinerlei Gefühl verbunden. Dennoch weiß ich, was ich bin – ein Feigling, der sich mit der wahren Vergangenheit nicht auseinander setzen möchte. Ich halte meine Erinnerungen zurück, ich verstecke sie wie Albträume, die in den tiefen Schlaf vergraben bleiben. Vielleicht kehrt meine Identität eines Tages zurück. Bis dahin behalte ich den Namen Carly Tyler bei, denn einen anderen kenne ich nicht.
    Abgesehen von meinem Wagen ist die Auffahrt leer. Der schwarze Cherokee ist verschwunden. Ich öffne die Hand und betrachte die Goldkette. Sie ist zerrissen. Obwohl sie nicht mehr um meinen Knöchel liegt, gehöre ich noch immer James.
Ich gehöre ihm.
Die Hinterlassenschaften seiner Liebe werden mir immer bleiben. Jeden einzelnen Kuss habe ich gewollt, jede Berührung, jeden Genuss, den er mir gab... und auch allen Schmerz. Ich wollte das alles, weil ich mich dadurch lebendig fühlte. Doch auch diese Art Leidenschaft hat ihren Preis. Sie hat nicht zu meiner Befreiung geführt. Sie quält und fesselt mich, aber ich möchte frei sein.
    Als ich nach Byblos kam, dachte ich, hier würde ich Gerechtigkeit und Frieden finden. Keines von beidem habe ich bekommen. Ich habe den Panikverschluss geöffnet, weil ich nicht allein abstürzen wollte. In einer Art letzter Vergeltung habe ich James in die Tiefe mitgenommen. Damit hatte er nicht gerechnet. Ich hatte mich entschlossen, uns beide zu vernichten. Doch auch er hat
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