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Außer Atem - Panic Snap

Außer Atem - Panic Snap

Titel: Außer Atem - Panic Snap
Autoren: Laura Reese
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gesagt, der Fall hätte niemals vor Gericht kommen dürfen, dass es eher infolge der Medienberichte zur Strafverfolgung gekommen sei als auf Grund der Beweislage. Dennoch bin ich hier. Vielleicht gehöre ich ja hierher. Schon vor langer Zeit habe ich gelernt, dass das Leben kein pannensicheres System ist. Für mich gibt es keine Panikverschlüsse mehr.
    Ich schaue durch das schmale Fenster in der Tür zur Uhr hinauf. Sie hängt im Flur hoch oben an der Wand. Der rote Sekundenzeiger wandert unaufhaltsam weiter. Da alle davon ausgingen, dass das Urteil bald gefällt werden würde, haben sie mich lieber hier im Gericht warten lassen, als mich zurück ins Bezirksgefängnis zu bringen. Doch es sind schon mehr als sieben Stunden vergangen, und noch immer ist das Urteil nicht da.
    Ich lehne den Kopf an die Tür, warte, denke nach. James ist tot. Ich bin dafür verantwortlich, sagen sie. Aus Rache für das, was vor fünfzehn Jahren geschehen ist, meinen sie, habe ich erst Gina getötet und dann James. So ist es den Geschworenen vermittelt worden. Von Anna wissen sie nichts. Niemand weiß davon. Und auch ich Feigling habe es für mich behalten.
    Wieder gehe ich auf und ab, von einer Wand zur anderen, und meine Beine schmerzen bei jedem Schritt. Die Wachen, die mich zum Gericht gebracht haben, hatten mich in Bauchketten gelegt, die auf dem Rücken verschlossen werden und an denen die Handschellen befestigt sind. Das ist üblich bei Transporten, aber ich war trotzdem den Tränen nahe, ich kannte das schon. Der Wachmann, der mir die Ketten anlegte, war behutsam; leise, sodass niemand außer mir es hören konnte, sagte er: »Sie wissen, dass ich das tun muss.« Ich schloss die Augen und drängte die Tränen zurück, ich wollte ihm keine Schwierigkeiten machen. Die Wachen, die mich kennen, behandeln mich freundlich, doch nicht alle tun das. Als die Sensationspresse von dem Fall erfuhr, stürzte sie sich darauf und verdrehte alles. Sie wussten bald Bescheid über die Ledergeschirre, die Peitschen und die goldene Kette an meinem Knöchel. Sie fanden auch heraus, dass James' Arm an den Ledergurt gefesselt war. Damit wurde ich zum Ungeheuer und er zum Opfer. Sie nannten mich Madame de Sade und erfanden eine Geschichte, die sich garantiert verkaufen ließ. Ich sei nach Napa gekommen, um die Familie McGuane zu vernichten, schrieben sie. Das sei mir bei Gina gelungen, und bei James sei es mir, obwohl er mutig versucht habe, sich zu retten, am Ende auch geglückt.
    Ich setze mich auf den Stuhl, stütze die Ellbogen auf die Knie, beuge mich vor und lege den Kopf in die Hände. Ich warte. Wieder habe ich Narben, keine eingebildeten, sondern echte – eine gezackte Linie auf der linken Wange und hier und da ein paar Spuren am Leib. Mein Spiegelbild sagt mir, dass ich anders aussehe als andere Frauen und dass das immer so bleiben wird. Auch wenn die Narben eines Tages verblassen und schließlich ganz verschwinden, werde ich nie wie andere Frauen sein.
    Ein weiteres Mal erhebe ich mich und nehme hinkend meine Wanderungen wieder auf. Ich warte darauf, dass zwölf Menschen über meine Zukunft befinden. Ehe ich nach Byblos kam, glaubte ich, ich wäre bereit, jeden Preis zu zahlen, jeden nur möglichen Preis, wenn ich nur Antworten auf die Fragen nach meiner Vergangenheit fände. Doch der Preis ist zu hoch. Ich habe die ersten sieben Jahre meines Lebens verloren, und nun verliere ich womöglich noch weitere. Es war dumm, zu glauben, die Wahrheit sei das Wichtigste.
    Ich schaue zur Uhr und sehe zu, wie sich der rote Zeiger weiter bewegt. Ich warte allein, ohne Familie, ohne einen Freund. Ich warte, denn mehr kann ich nicht tun.

Nach dem Urteil
    Als ich im vergangenen Frühjahr nach Byblos kam, hielt ich die McGuanes für die perfekte Familie. James und Gina hatten alles, so dachte ich – Liebe, Gesellschaft, einen sicheren Platz in der Welt –, doch ich habe mich geirrt, mein Neid war fehl am Platz. Gina, seit jener Nacht im Dachgeschoss von Grund auf verändert, war zu einem Leben gezwungen, das sie sich nicht ausgesucht hatte. Wie eine Einsiedlerin versteckte sie sich in ihrem Haus auf Byblos und schrieb heimlich Gedichte – ohne Mann, ohne Kinder, ohne enge Freunde. Und trotz seines Zynismus kam auch James nicht ungeschoren davon. Wieder und wieder malte er Bilder von Tod und Zerstörung, Themen, denen er einfach nicht entrinnen konnte. Sie hatten nicht alles – vielleicht wird niemand je alles haben –, aber da ich selbst keine Familie
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