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Ausgewechselt

Ausgewechselt

Titel: Ausgewechselt
Autoren: Paola Zannoner
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beseitigen, die wieder einmal den Nachmittag vor dem Fernseher verbracht hatte. Überall lagen Zigarettenkippen, dazu einige leere Bierdosen unter dem Sofa.
    Als Kind hatte Viola bereits sämtliche Sendungen gekannt, denn schon frühmorgens lief der Fernseher auf vollen Touren. Aber damals hatten um acht alle die Wohnung verlassen, ihre Mutter hatte sie in die Schule gebracht und war dann einige Stunden zu ihrem Vater in die Werkstatt gegangen, um sich um den Papierkram zu kümmern. Wenn sie um eins in die Wohnung zurückkam, hatte sie als Erstes nach der Fernbedienung gegriffen und den Fernseher eingeschaltet. Ihr war völlig egal gewesen, was da gerade über den Bildschirm flimmerte, Nachrichten, Wetterbericht, Werbung. Sie hatte nur auf die Sendung um zwei Uhr gewartet, eine Herz-Schmerz-Serie, die seit Jahren ausgestrahlt wurde, Tag für Tag jeweils eine halbe Stunde. Das war ihre Glückspille für den Tag. Danach war sie vom Sofa aufgestanden, hatte aufgeräumt, die Waschmaschine befüllt, gebügelt und die fertige Wäsche in Schränke und Kommoden einsortiert. Damals war die Wohnung immer tipptopp in Ordnung gewesen und sie hatte immer etwas zu tun gehabt, während Viola ihre Hausaufgaben erledigte.
    Damals hatten sie auch gemeinsam etwas unternommen, waren zur Reinigung, zum Supermarkt, in ein Kaufhaus oder zur rhythmischen Sportgymnastik gegangen, hatten die Großmutter besucht oder eine Freundin, die Geburtstag hatte. Mutter und Tochter hatten ausgefüllte Tage gehabt, oft kamen sie erst spät zurück und mussten sich sputen, damit das Abendessen auf dem Tisch stand, wenn Violas Vater nach Hause kam. Der hatte dann immer gefragt, wo sie gewesen waren, und seine Tochter scherzhaft gebeten: »Pass auf deine Mutter auf, nicht dass sie uns jemand wegnimmt.«
    Aber Patricia wurde von niemandem weggenommen. Es war ihr Vater, der sich wegnehmen ließ. Vor sechs Monaten war er Hals über Kopf zu einer anderen Frau gezogen. Anfangs hatte ihre Mutter vielleicht noch gehofft, dass er eines Tages zurückkehren würde. Da war alles noch in Ordnung gewesen. Verwandte und Freunde kamen zu Besuch, Patricia räumte auf und kochte, brachte sie in die Schule und zur Gymnastik und ging abends manchmal aus. Doch plötzlich war alles ganz schnell gegangen.
    Viola erinnerte sich nicht mehr, wann genau ihre Mutter wieder mit dem Rauchen angefangen hatte, vielleicht letzten Sommer, als sie zu Hause in der Stadt bleiben mussten, weil sie kein Geld hatten, um in den Urlaub zu fahren. Patricias Freunde waren nach und nach weggeblieben und sogar ihre Mutter hatte irgendwann keine Lust mehr, sie zu besuchen, weil es jedes Mal Streit zwischen den beiden gab. Violas Vater hatte sie zwei Wochen mit in die Berge genommen und ihr erklärt, was genau passiert war, dass er sich in eine andere Frau verliebt hatte und dass das Dinge waren, die eben passierten und dass sie es verstehen würde, wenn sie selbst einmal erwachsen wäre.
    »Ich bin schon fast erwachsen, Papa«, hatte Viola geantwortet, »ich bin schon vierzehn!«
    »Dann verstehst du mich also?«, hatte er mit einem Augenzwinkern gefragt.
    »Nein, ganz und gar nicht.«
    Er hatte dann noch weiter um Verständnis geworben und sie zu überzeugen versucht, aber Viola hatte gar nicht mehr zugehört. Sie hatte an das Leid ihrer Mutter gedacht und daran, wie sie völlig aufgelöst zu ihr gesagt hatte: »Papa hat uns verlassen, er ist mit einer Jüngeren zusammen.« Wie sie manchmal bebend vor Zorn hinzufügte: »Er hat sogar vergessen, dass er eine Tochter hat.« Und daran, wie oft ihre Mutter morgens mit rot geweinten Augen in die Küche kam.
    Als sie nach dem Urlaub wieder nach Hause gekommen war, starrte die Wohnung vor Dreck. Ihre Mutter hatte einfach nicht mehr die Kraft, alles in Ordnung zu halten. Sie vergaß einzukaufen, verbrachte ihre Zeit damit, eine Zigarette nach der anderen zu rauchen, den Blick starr auf den Fernseher geheftet, der jetzt ununterbrochen lief, bis tief in die Nacht.
    Manchmal war sie vor dem Fernseher eingeschlafen und wenn Viola sie morgens fand, bevor sie zur Schule ging, lag sie zusammengekrümmt auf dem Sofa, während auf dem Bildschirm die grellbunten Bilder eines Zeichentrickfilms zu sehen waren.
    »Mama, tu was!«
    »Sag du mir nicht auch noch, was ich zu tun habe«, hatte sie gejammert, »ich bin nur ein bisschen müde, das geht vorbei.«
    »Du musst mal raus!«
    »Wohin denn?«, hatte sie erschrocken gefragt.
    »Spazieren gehen oder zu einer Freundin
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