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Ausgewechselt

Ausgewechselt

Titel: Ausgewechselt
Autoren: Paola Zannoner
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um Leo spielen zu sehen. Inmitten von Eltern und Freunden der Spieler stach er ihm sofort ins Auge, denn er schien Nässe und Kälte gar nicht zu spüren. Ohne Schal und Mütze, nur die Hände in den Taschen seines dünnen, blauen Mantels versteckt und den Kragen lässig hochgeschlagen. Er sah aus, als würde kein Blut durch seine Adern fließen, als sei ihm nie kalt oder heiß, als hätte er nie eine rote Nase oder einen Schweißtropfen auf der Stirn. Im Augenblick hörte er mit gelangweiltem Gesichtsausdruck einem Mann neben ihm zu, der dick eingemummelt war: Daunenjacke und ein dicker, grüner Schal, den er wie eine Riesenschlange um seinen Hals gewickelt hatte. Die Hände tief in den Taschen vergraben, rutschte er auf der eiskalten Holzbank hin und her, schlug die Füße aneinander und redete ununterbrochen auf seinen Nachbarn im blauen Mantel ein, vielleicht um nicht zu Eis zu gefrieren.
    Der Anpfiff des Schiedsrichters traf Leo wie ein Peitschenhieb. Sein Vater hatte recht gehabt: Er war nicht der Einzige, der diesen Nebeltag hasste, diese feuchte Kälte, die wie ein Eishauch aus dem Boden kroch, als würde die Erde einen Seufzer zum Himmel schicken, aber kalt und zornig. Die Wut, die unter dem Rasen hervorquoll, schien die Spieler anzustecken, das Match wurde zum Existenzkampf mit echten und vorgetäuschten Fouls und üblen Beleidigungen. Leo lag ständig am Boden, mit dem Gesicht im Schlamm, er schrie und schimpfte, wäre fast dem Schiedsrichter an die Gurgel gegangen, wenn ihn nicht drei Mannschaftskameraden zurückgehalten hätten. Es genügte eine Lappalie, um zu explodieren, er attackierte einen Gegner und boxte ihm mit voller Wucht in den Bauch. Er hörte den Trainer seinen Namen schreien, zusammen mit zwei anderen Worten: »Schluss jetzt!« Und er hörte auch die Drohung: »Sonst nehme ich dich vom Platz!« Aber dieser Eishauch aus der Tiefe provozierte ihn: Der andere war es, es war seine Schuld, der hasst dich, der lässt dich nicht vorbei, der hat was gegen dich.
    Nach der ersten Halbzeit war Leo völlig erschöpft, das war kein Spiel mehr, sondern eine Schlacht. Er hinkte vom Platz, das Knie war aufgeschürft, die Nase blutete, die Haare waren voller Schlamm, das Trikot klebte schwer und nass am Körper. Manlio schoss auf ihn zu. »Was ist nur los mit dir? Willst du vom Platz gestellt werden?«
    »Der hat was gegen mich«, verteidigte er sich. Er meinte damit den Schiedsrichter, doch der Trainer dachte, es ginge um den Gegenspieler, der ihn so eng deckte.
    »Ich habe Lucio und Martino auf ihn angesetzt, wir ändern die Taktik.«
    Leo hörte kaum zu, als der Trainer die Strategie für die zweite Halbzeit erklärte. Er musste unbedingt ein Tor machen, bis jetzt stand es unentschieden und er hatte keine gute Figur abgegeben. Aber sobald seine Füße den eisigen Rasen wieder betreten hatten, waren alle Vorsätze vergessen, seine Wut war wieder da: Sie umklammerte seine Brust, ließ ihn brüllen und rennen wie ein Verrückter, sie lähmte seine Gedanken und verleitete ihn zu Schüssen von der Mittellinie aufs gegnerische Tor, eine Kinderei, die er schon lange nicht mehr gemacht hatte, bei diesem Boden und diesem Wind völlig sinnlos. Und seine Enttäuschung nährte seinen ohnmächtigen Zorn nur noch mehr, er wurde immer unberechenbarer für die Mitspieler, bis Manlio die Konsequenzen zog und ihn aus dem Spiel nahm. Leo ging schimpfend zur Bank und reckte einen Arm in die Luft, als Zeichen der Verachtung für den Schiedsrichter, den Trainer, den Mann im blauen Mantel, gegen diesen rabenschwarzen Tag, gegen was auch immer. Nicht er hatte ein Problem mit der Welt, die Welt hatte ein Problem mit ihm.
    Enricomusterteihnniedergeschlagen,wieeingetretenerHund.Leobeschwertesich,gabdemGegner,demSchiedsrichter,demMisterdieSchuld.Enricohörtegeduldigzuundnickte.Siesprachennichtviel,aberderVaterschienalleAnschuldigungenseinesSohneszuakzeptieren.»WasfüreinIdiot«,schimpfteLeo,aberinseinerStimmelagkeineWut,alsobdasjäheEndedesSpielssieweggeblasenhätte,alsobdieErdesiewiedereingesaugthätte.
    »Und dieser andere, der hatte es nur auf mich abgesehen.«
    »Oh, ja. Der hatte dich auf dem Kieker.«
    »Er hat mich mit Absicht provoziert«, jammerte Leo, er suchte nach Zuspruch.
    »Das war ein abgekartetes Spiel, da bin ich sicher«, schürte Enrico mit finsterem Gesicht die Glut.
    »Was meinst du damit?«
    »Der hat wahrscheinlich Geld bekommen, damit er dich keine Sekunde aus den Augen lässt. Die Sache mit dem Beobachter
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