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Ausgesaugt

Ausgesaugt

Titel: Ausgesaugt
Autoren: Charlie Huston
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einen Sturmtrupp mit Helmen und Schutzschilden loszuschicken, um die provisorischen Behausungen niederzureißen, ein paar Schädel einzuschlagen und einige arme Schweine ans Tageslicht zu zerren, um sie zu verhören und in eines von ihren Löchern zu werfen.
    Klar, mich würden sie bei einer solchen Aktion wohl kaum erwischen, aber ich habe großes Interesse daran, dass das Milieu der Tunnelbewohner einigermaßen intakt bleibt. Je reibungsloser das Zusammenleben hier unten funktioniert, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Panik kriegen und weiterziehen. Eine stabile Gemeinschaft sorgt dafür, dass neue Tunnelbewohner hinzustoßen. Und je mehr Kanalratten sich hier unten tummeln, desto leichter kann ich untertauchen.
    Vom Nahrungsangebot ganz zu schweigen.
    Allerdings lebe ich hier nicht gerade wie die Made im Speck. Eher im Gegenteil. So magere Zeiten hatte ich selten. Trotzdem – da die Bevölkerung der Kanalisation quasi nur aus Trinkern und Junkies besteht, ist es normalerweise nicht allzu schwierig, im Schutze der Dunkelheit jemanden zu finden, der gerade bewusstlos oder im Tran ist, und ihn um einen halben Liter zu erleichtern. Wenn man nicht zu gierig wird, kann man praktisch immer und überall eine Vene finden, wenn man eine braucht.
    Das ist einer der Gründe, warum ich hinter diesem Typen her bin. Er stellt eine Gefahr für mein Revier dar. Richtig auf die Palme gebracht hat mich aber das Blut, das gegen die Wand gespritzt ist. Der Geruch war wie ein Schlag ins Gesicht. Er hat mir das Wasser ins Auge getrieben und im Mund zusammenlaufen lassen. Und schon war ich hinter dem Typen her, ohne an die Cops zu denken. Ohne überhaupt groß an irgendwas anderes zu denken als daran, dass es niemanden kümmern wird, was ich mit dem Kerl anstelle; daran, wie dunkel es im Tunnel sein wird, wenn ich ihn erwische; und wie ich ihn genussvoll aussaugen werde, bis ich so voll mit Blut bin, dass ich fast kotzen muss. Nach dem ständigen Kleinscheiß hatte ich wirklich große Lust auf einen ordentlichen Schluck.
    Nein, keine Ahnung, weshalb er den Krüppel umgebracht hat. Ist mir auch egal. Mir macht eher Sorgen, dass ich so gut wie blind bin und er die Kanalisation besser kennt als ich. Irgendwo hier muss er stecken, er und sein Blut. Die Frage ist: Ist er stehen geblieben, weil er in einer Sackgasse gelandet ist, oder plant er irgendetwas?
    Kalte Scheiße driftet gegen meine Knöchel und fließt dann weiter in seine Richtung. Ein paar Meter entfernt höre ich ein lautes Gurgeln und spüre einen leichten Sog.
    In meinem ersten Monat hier unten bin ich in genau so einen Tunnel spaziert. Wollte mich mal umsehen, austesten, wie tief das Abwasser ist. Ein Schritt zu viel, und ich fand heraus, dass es ziemlich tief ist. Nach einem Fall von über sieben Metern landete ich auf einem Haufen Ziegel und Schutt. Dabei hab ich mir an einem rostigen Metallteil die Rückseite meines Oberschenkels vom Knie bis zum Arsch aufgerissen. Bis sich die Wunde geschlossen hatte, verlor ich so viel Blut, dass mir richtig schwindlig wurde. Damals hatte ich eine Taschenlampe dabei, sie aber nicht eingeschaltet – ich wollte mich langsam dran gewöhnen, mich auch im Dunkeln zurechtzufinden. Aber ich hatte sie zumindest dabei. Andernfalls – oder wenn sie beim Sturz kaputtgegangen wäre – hätte ich wahrscheinlich niemals aus dem Loch rausgefunden.
    Diesmal habe ich leider keine Taschenlampe dabei. Wenn ich also wieder in so ein Loch falle, dann war’s das. Der kleine Scheißer wartet hier irgendwo auf mich, glaubt, dass er im Vorteil ist, nur weil er sich hier auskennt. Ich werd’s ihm nicht leichtmachen, darauf kann er sich verlassen. Wenn ich nur wüsste, wo er sich verkrochen hat.
    Ich frage mich, wie durchgeknallt er tatsächlich ist.
    Aber das lässt sich ja rausfinden.
    – Hey.
    Nichts.
    – Ich hätte da mal eine Frage.
    Keine Antwort.
    – Warum hast du den Krüppel umgelegt?
    Er holt Luft, als wolle er gleich was Wichtiges sagen, dann atmet er aus und schweigt weiter.
    Ziemlich einseitige Konversation, aber davon lasse ich mich nicht beirren.
    – Du hattest sicher deine Gründe, auch wenn er ein Krüppel war. Er hatte es bestimmt verdient, ob er jetzt einen Unterleib hatte oder nicht. Ich kannte mal einen, der war blind. Blind wie eine Fledermaus, er konnte nicht das Geringste sehen. Weißt du, wie sich die Blindheit auf seinen Charakter ausgewirkt hat? Gar nicht. Das war ein Arschloch. Ein blindes Arschloch. Ein
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