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Ausgesaugt

Ausgesaugt

Titel: Ausgesaugt
Autoren: Charlie Huston
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versoffenes, blindes Arschloch. Ich war Türsteher in seiner Stammkneipe, und immer, wenn wir zugemacht haben, brauchte er jemanden, der ihn nach Hause bringt. Als ich an der Reihe war, hab ich ihn zu einem leeren Grundstück geführt, wo er dann im Dreck seinen Rausch ausgeschlafen hat. Am nächsten Tag war er dann stinksauer und hat allen erzählt, was ich getan hab. Und weißt du was? Sie haben mir auf die Schulter geklopft. Weil der Kerl es verdient hatte. Da waren alle meiner Meinung. Nur weil einer ein Krüppel ist, muss er noch lange kein netter Mensch sein.
    Ich höre, wie er sich über die Lippen leckt. Er würde wirklich gerne was sagen. Tut’s aber nicht.
    Ich schon.
    – Andererseits ist es ja auch möglich, dass dein Krüppel ein richtig feiner Kerl war und du nur ein durchgeknalltes Arschloch bist, das nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Wer weiß, vielleicht hast du diesen netten Krüppel ja nur aufgeschlitzt, weil dich das Quietschen seines Rollstuhls aufgeregt hat.
    – Er hat mir die Freundin ausgespannt.
    Mehr brauche ich nicht. Nur den Klang seiner Stimme, der von den Wänden und der Decke widerhallt. Das Echo zeigt mir den Weg. Ich bin schon ziemlich nah dran, er ist nur noch ein paar Meter entfernt. Ich könnte ihn jetzt mit einem Sprung erreichen, ohne mir Sorgen über Löcher im Boden machen zu müssen. Und wenn ich ihn erst mal in die Finger kriege, muss ich mir wegen überhaupt nichts mehr Sorgen machen.
    Aber ich bin neugierig.
    – Deine Freundin?
    – Ja. Dieses Arschloch. Wir waren schon fünf Monate zusammen. Dann kommt dieser Rollstuhlpenner an, ohne Beine, ohne Magen, ohne nichts. Armselig. Setzt sich auf die Fifth Avenue und sahnt ab. Alle anderen sind pleite, aber der beinlose Typ hat immer ’ne Flasche am Start, die er mit den Mädels teilen kann. Ich hab sie gefragt: Was hat der, was ich nicht habe. Ich weiß zumindest, was er nicht hat, hab ich gesagt – einen gottverdammten Schwanz.
    – Und, was hat sie darauf gesagt?
    Ich höre, wie er ins Wasser spuckt.
    – Er hat Stil, hat sie gesagt.
    Darüber müssen wir beide einen Augenblick nachdenken. Dann wird er neugierig.
    – Was interessiert dich das überhaupt? Warum rennst du mir hinterher? Ich kenn dich, Einauge. Wir hatten doch noch nie Stress, oder? Hab dich nie mit dem Krüppel zusammen gesehen. Scheiße, warum verfolgst du mich denn? Noch dazu in meiner Kanalisation, du Arschloch. Wie lange bist du überhaupt schon hier unten? Du kennst dich doch hier null aus und rennst mir hinterher. Du hast doch den Arsch offen, mir in die Kanalisation zu folgen. Warum denn, Mann?
    Ich richte mich auf, überprüfe, dass meine Sohlen nicht auf etwas Rutschigem stehen.
    – Du hast da was, das ich haben will.
    Er lacht.
    – Motherfucker, du hast den Falschen erwischt. Ich hab ’nen Scheißdreck. Ich hatte mal ’ne Freundin, aber die hat mir der Krüppel weggeschnappt. Jetzt hab ich nur noch ein Messer. Willst du das? Dann komm und hol’s dir.
    – Nee, das kannst du behalten. Ich hab selbst eins.
    Ich springe los und strecke die Arme aus wie ein Footballspieler beim Angriff. Doch im Gegensatz zu einem Footballspieler halte ich ein vierzig Zentimeter langes Amputationsmesser in der Hand, das ich vor drei Monaten am Auslass eines Abwassertunnels gefunden habe. Es lag zwischen den verrosteten Stäben eines alten Einkaufswagens im Wasser. Den Rost hab ich mit einem Flusskiesel abgekratzt, wodurch die Klinge etwa zwei Millimeter an Durchmesser eingebüßt hat. Dann hab ich den längst verrotteten Beingriff durch eine Viertelrolle gelbes Isolierband ersetzt, und schon hatte ich das perfekte Werkzeug, um mir den gröbsten Ärger vom Hals zu halten. Üblicherweise reicht es, wenn ich die Klinge wie durch Zauberhand aus meinem Jackenärmel rutschen lasse – ein Stück Fahrradschlauch und weiteres Isolierband machen’s möglich.
    Der Typ kriegt die Klinge leider nie zu sehen. Obwohl ihm das Gefühl, wie sie sich unter seinem Brustkorb hindurch in seinen rechten Lungenflügel bohrt, vermutlich eine ziemlich genaue Vorstellung davon geben dürfte. Eigentlich würde ich das Messer jetzt gerne ein bisschen hin und her drehen, um die Sache schnell zu Ende zu bringen, aber ich bin mit meinem vollen Gewicht auf ihm gelandet. Wir gehen beide zu Boden und die Klinge bohrt ein weiteres Loch in seinen Rücken, aus dem zischend Kohlendioxid entweicht. Als ich das Messer aus ihm herausziehe, ist er noch nicht richtig tot, lässt mich aber ungestört
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