Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen
Autoren: Rebecca Makkai
Vom Netzwerk:
Okkultismus‹?«
    »›Das Sein und das Nichts‹! Du könntest sie kleine Sartre-Stücke lesen lassen.«
    »›Das Unbehagen in der Kultur‹!«
    Wir trieben das noch eine Weile weiter, und ich fühlte mich schließlich besser. Das schien unsere ganze Beziehung zu sein. Vermutlich mein Fehler. Im Filmforum schauten wir uns gemeinsam alte Filme an – wir gingen nicht miteinander aus, wir sahen nur Filme an, die sonst kein Mensch sehen wollte –, und wir verdrehten einer über den anderen ständig die Augen, bis er fand, ich würde überreagieren, und mir das auch mitteilte.
    Er zupfte mich am Ärmel. »Du hast gesagt, ich soll dir die Hölle heißmachen, wenn du wieder eine Strickjacke anziehst.«
    »Es ist kalt.«
    »Ich befolge nur Befehle.«
    Ich hasste es, dass ich allmählich wie eine Bibliothekarin aussah. Das war nicht in Ordnung. Im College hatte ich alles Mögliche geraucht. An meinem ersten Auto hatten böse Sticker geklebt. Ich stammte von einer langen Reihe von Revolutionären ab.
    Ich stand auf, streckte mich und fühlte mich irrationalerweise schuldig, dass ich das vor Rocky tat, der es nicht konnte. Ich hatte es satt, den ganzen Tag zu sitzen , ich war sicher, davon Gangräne oder Hämorrhoiden zu bekommen. Ich erfand während der Arbeit alle möglichen Ausreden, um durch die Gänge zu laufen. Bei mir befanden sich auf dem Rückgabewagen selten mehr als drei Bücher, weil ich alle fünf Minuten aufstand, um sie wieder in die Regale zu räumen.
    Wie lange schon hatten die Menschen überhaupt Schreibtischtätigkeiten? Vielleicht die letzten vierhundert Jahre, gemessen an vier Millionen. Das war unnatürlich.
    Der bevorzugte Witz meines Vaters: Was ist ein Russe? Ein Nihilist. Was sind zwei Russen? Ein Schachspiel. Was sind drei Russen? Eine Revolution.
    Wie würdest du aber einen Möchtegernrevoluzzer nennen, der hinter einem Schreibtisch festsitzt? Vielleicht einen Zappelphilipp. Ein Problem. Einen schlafenden Vulkan.

3
    Die Hand des Nichts
    An Halloween verteilte ich von der Theke aus Süßigkeiten an kostümierte Kinder, deren Eltern es vorzogen, dass die lieben Kleinen ihre Süßes-oder-Saures-Drohung in Geschäften aussprachen anstatt in den Gegenden Ost-Hannibals, wo die Anwohner angeblich Rasierklingen in den Süßigkeiten versteckten. Ich hatte in dieser Woche am Eingang ein Plakat mit der Ankündigung aufgehängt, dass jedes Kind, das sich nach einer Figur aus einem Buch verkleidete, doppelt so viele Süßigkeiten und ein Lesezeichen bekommen würde. Doch bisher hatten wir nur zwei Harry Potters, eine Dorothy und einen Jungen, der behauptete, Michael Jordan würde auch zählen, weil es über ihn so viele Bücher gab.
    Ian kam die Treppe herunter, die manikürte Hand seiner Mutter auf der Schulter. Schnell stopfte ich mein Namensschild in die Schublade. Ich fragte mich, ob ich Ian jemals wieder allein sehen würde. Er war nicht kostümiert und trug seinen blauen Anorak, wie immer. Ich erinnerte mich an die Liste seiner Mutter und daran, dass sie Halloween nicht feierten, doch er starrte durch die Brille zwei Kindern hinterher, die in Raumanzügen hinausgingen, bevor er seiner Mutter das Regal mit den Büchern von C. S. Lewis zeigte. Ein paar Minuten später ging Mrs Drake zum Kinderbuchregal, in dem ich etliche in Vergessenheit geratene preisgekrönte Bücher und Bücher von Auswahllisten deponiert hatte. Flüchtig und stirnrunzelnd blätterte sie in Der goldene Kelch , als Ian zur Theke schlurfte. Er schob seine linke Hand aus dem Ärmel des Anoraks, wo er sie versteckt hatte. Sein Zeigefinger war mit zerknitterter Alufolie umwickelt, auf die mit Edding ein Gesicht gemalt war.
    »Miss Hull«, flüsterte er, »ich bin nicht kostümiert, aber mein Finger ist Blechmann!«
    Ich lachte, formte nur mit den Lippen »Meine Güte« und gab ihm zwei KitKats und ein Lesezeichen.
    Er steckte die Riegel in die Tasche und zog seine Hand in den Ärmel zurück, gerade als seine Mutter mit einem Arm voller Bücher zur Theke kam. Einige Hardy Boys und Biographien, aber nichts, was Ian meiner Meinung nach gefallen würde. Ich stempelte sie etwas energisch und lächelte zurück, als Ians Mutter mir einen schönen Abend wünschte.
    In solchen Momenten kleinstädtischer Kleinlichkeit, wenn mir klarwurde, dass ich für immer die verantwortliche erwachsene Person bei der Vergabe von Halloween-Süßigkeiten bleiben würde, wenn ich an mir hinunterschaute und meine bequemen Schuhe sah, hätte ich mich verfluchen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher