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Auserkoren

Titel: Auserkoren
Autoren: PeP eBooks
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von Joshua und von Abigail, die zu früh auf die Welt gekommen ist, weil ich Mutter Sarah so in Aufregung versetzt habe. Ich erzähle ihm alles. Auf dem Trittbrett fange ich an und im Wagen rede ich weiter. Ich setze mich auf den Boden. Es sprudelt aus mir heraus wie aus einem Wasserhahn, so schnell rede ich. So schnell, dass man die Wörter fast nicht mehr unterscheiden kann. Ich weiß nicht einmal, ob er jedes Wort versteht.
    Patrick hört mir zu, kauert sich neben mich.
    Ich sage ihm alles. Ich erzähle ihm von Onkel Hyrum und von denen, die weggelaufen sind, und von Ellen und von den toten Zwillingen und meiner Hochzeit und den Schlägen. Um mich herum riecht es nach druckfrischen Zeitungen und Büchern. Und nach Patrick, es ist ein süßlicher Geruch.

    »Ich kann es nicht glauben«, sagt er nach einer Weile. »Das ist, verdammt noch mal, einfach unglaublich. Sie haben dich tatsächlich windelweich geschlagen.«
    Was soll ich darauf sagen?
    Aber er redet weiter. Und als er es sagt, überhöre ich es beinahe. »Ich nehme dich mit.«
    Ich schaue ihn an.
    Er kauert neben mir, sein Abrechnungsbuch liegt am Boden, seine Schluckspecht-Tasse leckt.
    »Und zwar jetzt gleich«, sagt er. »Wir werden Hilfe holen. Du kannst bei meiner Frau Emily und bei mir bleiben. Wir werden tun, was nötig ist, Kyra. Wenn du das willst.«
    Er setzt sich wieder auf seinen Fahrersitz, wartet auf meine Antwort, während seine Hand schon auf dem Zündschlüssel liegt.
    Ich nicke.
    Er lässt den Wagen an, legt den Gang ein und los geht’s.
     
     
    Als der Motor anspringt, fange ich zu weinen an. Ich sehe Laura vor mir und Margaret und Carolina. Ich sehe Vater und Mutter Sarah, die jetzt kein Baby mehr hat und die jetzt niemanden mehr hat, der auf sie achtgibt, jetzt wo ich nicht mehr da bin.
    Ich blicke hinunter auf meinen Schoß, Tränen tropfen heiß auf meine Hände.
    Ich sitze immer noch am Boden, gleich neben der Abteilung W der Rollenden Bibliothek.

    »Keine Sorge, Kyra«, sagt Patrick. »Alles wird gut werden. Das verspreche ich dir.« Er dreht den Kopf. Schaut kurz über die Schulter nach mir. Und fährt weiter.
    Der Laderaum der Rollenden Bibliothek von Ironton schaukelt und ich werde gegen die Bücher gestoßen. Ich ziehe die Knie an bis unters Kinn und vermisse meine Familie mehr, als ich es je für möglich gehalten hätte.
    Ich habe meine Musik zurückgelassen. Und meine Schwestern. Und meine Mütter. Und Vater.
    Und Onkel Hyrum, sagt eine Stimme in mir.
    Ich mache meine Augen ganz fest zu.
    Was wird jetzt geschehen?
    Was wird geschehen, wenn ich nicht nach Hause zurückkomme? Wann werden sie es bemerken? Wann wird ihnen klar sein, dass ich geflohen bin? Werden es die Kader Gottes bemerken, dass ich nicht wieder nach Hause komme? Was wird Mutter Sarah tun? Wird sie mich suchen, die Hände über dem Bauch, dort wo Abigail war? Werden Mutter Claire und Mutter Victoria mit Vater nach draußen gehen und den Zaun und die Bewässerungsgräben absuchen?
    Was wird Onkel Hyrum tun?
    Wird Laura mich vermissen? Und Margaret und Carolina? Werde ich ihnen fehlen? Und was ist mit Emily? Wird es ihr gut gehen, wenn ich nicht mehr da bin? Und Mariah?
    Wie lange wird es dauern, bis der Prophet befiehlt, mich zu suchen?
    »Bleib unten, bis wir an eurer Siedlung vorbei sind«, sagt Patrick. Er schaltet das Radio an und wiegt seinen
Kopf im Takt der Musik. Nach einer Weile sagt er: »Wir sind daran vorbei. Lass mich noch eine Meile weiterfahren.«
    Ich werde ein bisschen hin und her geschleudert auf dem Boden des Lieferwagens. Das Bücherauto ist nicht so gut gefedert wie unser altes Familienauto.
    Ich bin so traurig, dass ich nicht einmal einen Blick auf die Buchrücken werfe. Ich bin so traurig, dass ich glaube, mein Herz wird nie wieder fröhlich werden.
    Ist Onkel Hyrum es wirklich wert, dass ich seinetwegen meine Familie verlasse?
    Denke jetzt nicht an zu Hause , sagt die Stimme in mir. Hauptsache du kommst weg von hier.
    Patrick unterbricht meine Gedanken. »Möchtest du dich neben mich setzen, Kyra?« Er deutet mit dem Kopf auf den Beifahrersitz, während wir immer weiter von meiner Familie wegfahren. Von meiner Familie und von Onkel Hyrum.
    Ich schniefe immer noch, aber ich bin einverstanden.
    Wankend gehe ich in den vorderen Teil des Wagens.
    »Alles wird gut, Kyra«, sagt Patrick. Ich blicke ihm in die Augen, und ich sehe, er glaubt daran.
    Draußen zieht das weite, ebene Land an uns vorbei.
    »Sie fehlen mir schon jetzt«, sage ich
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