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Auserkoren

Titel: Auserkoren
Autoren: PeP eBooks
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Angst, und trotzdem werden noch Stunden vergehen, ehe etwas geschieht.
    Wenn ich gehe.
    Wie ich immer gegangen bin.
    Obwohl sie mich beobachten.
    Schließlich entscheide ich mich doch zu gehen.
    Gott sei Dank, Gott sei Dank habe ich diesen Mittwoch noch, um Patrick in der Rollenden Bibliothek von Ironton zu treffen und ihm zu sagen: »Komm nicht wieder. Ich wollte mich nur von dir verabschieden. Mach’s gut und vielen Dank.«
    Ich muss nur an diesen Satz denken und schon habe ich einen dicken Kloß im Hals.
    Als ich am Tempel vorbei zum Zaun gehe, frage ich mich, ob ich Laura etwas davon hätte sagen sollen. Die Sonne brennt heiß vom Himmel. Ich habe zwei Geheimnisse vor ihr. Beide Geheimnisse haben etwas mit Männern zu tun: Joshua und Patrick.
    »Es ist sicherer für sie, wenn sie nichts weiß«, rate ich mir selbst, während ich mich auf den Weg mache.
    Die Kader Gottes sehen, wie ich losgehe. Ich beobachte aus den Augenwinkeln, wie sie mich beobachten.

    Aber ich gehe immer spazieren , denke ich.
    Immer.
    Ich renne nicht. Ich tue gelangweilt. Ich benehme mich so wie immer. Oder nicht?
    Sehen sie, wie mein Herz klopft?
    Riechen sie meinen Schweiß?
    Während ich weitergehe, schaue ich immer wieder zurück.
    Keiner folgt mir. Kein Mensch ist hinter mir. Endlich kann ich frei atmen, nicht zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.
    Jetzt warte ich darauf, dass der Lieferwagen mit den Büchern auftaucht. Ich hoffe, dass Patrick kommt, aber vielleicht, vielleicht kommt er ja doch nicht, was dann? Panik: Vielleicht, vielleicht kommt er hier nicht wieder vorbei, vielleicht, weil man ihn schon einmal angehalten hat außerdem kann einem Sheriff Felix ja wahrlich Angst einjagen und vielleicht war er ja schon da und ich habe ihn nur verpasst und jetzt warte ich vergebens wo ich doch eigentlich zu Hause sein sollte und meinen Brautschleier für die Hochzeitsfeier nähen sollte den Schleier mit dem ich mein Gesicht vor Onkel Hyrum verhülle wenn wir verheiratet sein werden vielleicht ist er ja längst da gewesen und weshalb sollte er jetzt anhalten ich würde ja auch nicht anhalten wenn ich Sheriff Felix sähe und er hat ihn ja gesehen und sie alle beobachten mich sie alle.
    Ich warte im Schatten der Ölweiden, ich warte, nur für den Fall. Und dabei beschließe ich: Ich werde weiterhin lesen. Sogar wenn ich verheiratet bin.

    Ich darf lesen.
    Frauen dürfen lesen.
    Ihre Ehemänner müssen es ja nicht wissen. Ich könnte es zwischen all den Pflichten machen, die man als jüngste Frau auf sich nehmen muss, einschließlich der Pflicht, ihrem Manne zur Verfügung zu stehen, wenn es ihn danach verlangt, denn wenn ich keine Kinder habe, kann ich auch nicht in den Himmel kommen.
    Eine junge Mutter darf lesen. Wenn es ihr sehnlichster Wunsch ist.
    Ich könnte , denke ich im Schatten der Bäume und schaue erst links, dann rechts die Straße entlang, ich könnte meinen kleinen Kindern etwas vorlesen. Niemand würde das erfahren. Onkel Hyrum ist ein Apostel. Vielleicht ist er viel unterwegs. Man kann nie wissen.
    Ich könnte zu meinen Bäumen gehen. Ich könnte sagen, ich gehe meine Mutter besuchen. Ich könnte einfach hierherkommen. Bestimmt.
    Und mir fällt noch etwas Besseres ein. Was wäre, wenn ich die Bücher auswendig lernen würde. Wenn ich einfach jede Woche zur Rollenden Bibliothek von Ironton gehen und ein paar Seiten abschreiben würde. Das wäre doch möglich. Das ginge. Und dann würde ich die Geschichten meinen Babys ins Ohr flüstern.
    »Du bist verrückt, Kyra Leigh Carlson«, sage ich ganz laut.
    Und dann sehe ich ihn, in der Ferne, diesen großen Lieferwagen, der auf mich zugerattert kommt. Auf dem Armaturenbrett steht die Schluckspecht-Tasse. Der Ventilator läuft, er dreht sich und dreht sich, und je näher die
Rollende Bibliothek von Ironton kommt, desto heftiger klopft mein Herz.
    »Ich werde nie aufhören, hierherzukommen«, sage ich dem Wind. Er hat etwas aufgefrischt. Ich spüre ihn, er trägt Sandkörnchen mit sich. »Nur weil ich verheiratet bin, heißt das nicht, dass ich keine Bücher mehr ausleihen darf. Ich kann etwas auswendig lernen. Oder ich verstecke einfach die Bücher und …«
    Tränenblind steige ich die Stufen des Lieferwagens hinauf.
    »Kyra«, sagt Patrick, als er mein Gesicht sieht. »Was ist mit dir passiert? Oh mein Gott, was ist passiert?«
    Und ohne daran zu denken, dass ich es eigentlich gar nicht sollte, erzähle ich Patrick alles. Alles.
    Ich erzähle ihm von den Erwählten und
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